Hebräer-05: Der grosse Hohe Priester Jesus

Christus ist besser als der alt Bund

 

 

 I.   Die Funktion eines Hohen Priesters (Verse 1-4)

Es ist für uns heute schwer vorzustellen, was für eine Macht, Herrlichkeit, Pracht und Hochachtung das hohepriesterliche Amt im Judentum innehatte. Gemäss dem jüdischen Schreiber Josephus enthielt diese Position die höchste Ehre. James Burton Coffman schreibt dazu: „Ohne Zweifel, die irdische Pracht des jüdischen Hohen Priesters war ein Faktor des verführerischen Einflusses auf Christen, besonders auf die mit jüdischem Hintergrund.“

Folgende Tatsachen machten den Hohen Priester besonders: Das purpurblaue Obergewand, das Brustschild mit den zwölf Edelsteinen, die die zwölf Stämme Israels repräsentieren, das einzigartige Vorrecht am Jom Kippur das Allerheiligste zu betreten, die Stellung als Richter und Oberster des Sanhedrin, der Einfluss auf die Regierenden und die gesamte jüdische Nation, besonders in der Zeit, als Israel keinen König hatte, die Abstammung aus der Nachkommenschaft Aarons, die bis zum Auszug Israels aus Ägypten zurückgriff (die selbst die römischen Eroberer bewunderten).

Offenbar war der Hohe Priester zur Zeit der Entstehung des Hebräerbriefs noch im Amt (siehe Verse 1-4, Zeitform in der Gegenwart geschrieben). Obschon die Juden Herodes verachteten, der ihnen den Tempel ausbaute, so bewunderten sie doch dieses prachtvolle Kunstwerk, seit den Tagen Salomos. Doch die volle Ehre galt dem Hohen Priester, der die Oberaufsicht über den heiligen Tempel hatte. Die Jünger Jesu bewunderten den Tempelbau und zeigten ihn Jesus (Mt 24,1-2). Als sie der Heilige Geist über sie ausgegossen wurde verstanden sie, dass der Tempel und die alttestamentlichen Ordnungen endgültig der Vergangenheit angehörten (Apg 1,6-8; 2,1-4; 4,13). Das mosaische System war nur ein Schatten der zukünftigen Güter (Hebr 10,1).

Zwei Besonderheiten prägten den Hohen Priester:

1. Sein Mitgefühl für das Volk.
Aus grösster Sorge um das Volk fielen Aaron und Mose auf ihr Angesicht, weil Israel sich weigerte ins Gelobte Land geführt zu werden (Num 14,5). Aaron und Mose baten Gott um Gnade für das Volk (Num 14,11-19). Die Aufgabe des Hohen Priesters war es dem Volk Gottes zu dienen, den Menschen beizustehen in ihren Sorgen, Ängsten und Sünden. Der Hohe Priester erklärte den Menschen den Sinn und Zweck der Opferungen und half ihnen den Zusammenhang zwischen Sünde und Vergebung zu verstehen.

2. Seine göttliche Einsetzung.
Nicht jeder konnte Hoher Priester werden, sondern nur wer aus dem Stamm Levi hervorging und Nachkomme Aarons war (Ex 29,9; siehe Tabelle in Leviticus). Niemand kann sich selbst die Würde verschaffen, sondern nur der von Gott eingesetzte Hohe Priester wurde Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Von Gott eingesetzt bedeutete im AT der Nachkommenschaft Aarons abzustammen und nach dem von Gott gegebenen Gesetz Mose zu Lebzeiten berufen zu sein.

Zur Zeit Jesu wurden die Hohenpriester oft durch Herodes oder die römischen Behörden eingesetzt, was nicht dem Willen Gottes entsprach. Im Neuen Testament sind uns bekannt: Hannas (6-15 n. Chr.: Joh 18,13). Kajafas (18-37 n. Chr.: Joh 18,24). Ananias (48-59 n. Chr.: Apg 23,2; 24,1). Bestimmt war den Hebräern der herzlose Hannas in Erinnerung, der bei der Kreuzigung Jesu seinen Anteil beitrug, obschon er von den Römern längst abgesetzt worden war, weil er einen Mann ungerechterweise töten liess. Hohe Priester gebrauchten die Bestechung um im Amt zu bleiben und waren bekannt für ihre Korruption. Ein Wechsel fand viel häufiger statt (Joh 11,49.51).

Das war ursprünglich nicht so. Es gab mutige und loyale Hohe Priester wie Ebjatar der David in grosser Bedrängnis beistand (1Sam 23,9-14). Aaron wurde zum ersten Hohen Priester gewählt weil er einen guten Charakter hatte und zu seinem Bruder Mose stand. Gott bestrafte damals sogar die mit dem Tod welche sich unrechtmässig das Hohe Priester Amt aneignen wollten (Num 16,1-35). Saul verlor sein Königtum und sein Leben, weil er Opfer darbrachte, die nur der Hohe Priester darbringen durfte (1Sam 13,12). Asarja oder Ussijahu10, König über Juda, brachte im Tempel Räucheropfer dar und wurde mit einem lebenslänglichen Aussatz bestraft (2Chr 26,16-21). Durch den Prophet Maleachi klagt Gott seine Hohen Priester heftig an und sagt ihnen das Ende der irdischen Priesterschaft voraus (Mal 1,6; 2,7-9; 3,1-3).

Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass es heute im Neuen Testament kein solches Amt mehr gibt! Die Opferungen haben längst aufgehört. Sie brachten Gaben und Opfer dar, besonders am Jom Kippur (Lev 16). Gaben bestanden aus Ölen und Mahlzeiten (Trankopfer). Mit Opfer waren die Tieropfer gemeint. Kein Mensch ist berechtigt sich mit irgendwelchen Titeln über andere Menschen zu stellen, sei es als Priester, Bischof, Kardinal oder Papst (Mt 23,9) wie in der kat. Kirche. In der röm. kat. Kirche wird gelehrt, dass die vom Papst autorisierten Priester immer noch Opfer darbringen in der Messe. Durch ihre Worte verwandle sich bei der Eucharistie das Brot in den Leib Christi, der sich jedes Mal erneut opfere. Die Katholiken sind der irrigen Meinung den Leib Christi zu essen (Joh 6,53-54). Jesus spricht jedoch symbolisch von Glauben und von der Nachfolge der Gläubigen und nicht von Kannibalismus! Die Eucharistie oder das Mahl des Herrn, wie es in der Bibel bezeichnet wird, ist ein reines Gedächtnismahl (Lk 22,19). Es dient auch nicht zur Vergebung der Sünden da ja unsere Sünden längst vergeben wurden (Heb. 10,10). Weil Christus sich ein für allemal am Kreuz opferte für unsere Sünden ist kein weiteres Opfer mehr nötig (Hebr 9,25-26).

Trotzdem haben Älteste und Evangelisten Ähnlichkeiten mit dem Hohen Priester Dienst (Röm 9,2-3). Sie sind für Schwache und Bedürftige da (Hebr 12,12-13). Sie kümmern sich um Schafe, die sich verirrt haben oder keinen Hirt haben (Mt 9,36). Sie weisen zu Recht mit aller Sanftmut (Gal 6,1-2).

Die Opferungen des Hohen Priesters.
Das Problem unserer Beziehung zu Gott ist die Sünde (Jes 59,1-2). Deshalb brauchen wir einen Hohen Priester als Vermittler. Ein Hoher Priester, der Gott kennt und auf die Anliegen der Menschen eingeht.

Durch das Opfer im AT konnte die rechte Beziehung zwischen Mensch und Gott wieder hergestellt werden. Doch ein Tieropfer im AT konnte nur die Sünden sühnen die aus Versehen begangen wurden. Die vorsätzlichen Sünden die absichtlich, bewusst oder aus Gewohnheit verübt wurden konnten nicht gesühnt werden. Sie sind unverzeihbar, denn sie sind absichtlicher Ungehorsam gegenüber Gott weil sie kaltblütig, aus Berechnung und ganz bewusst begangen wurden. Beispiele: Kain (Gen 4,1-15). Mose (Num 20,7-12). Nadab und Abihu (Lev 10,1-7). Ussa (2Sam 6,1-11). Israel (Dtn 1,42-46; Num 14,40-45). Israeliten, die am Sabbat Holz sammelten (Num 15,30-36). Deshalb heisst es in Hebräer 10,26-29: „Denn wenn wir vorsätzlich sündigen, nachdem wir bereits die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, gibt es kein Sühnopfer mehr, sondern nur noch ein furchtbares Warten auf das Gericht ...“ Wenn ein Mensch im AT mit dem Tod bestraft wurde für seine Sünde dann bedeutet das nicht dass er gleichzeitig ewig verloren war! Vorsätzliche Sünden werden im NT mit dem ewigen Tod bestraft weil sie meistens mit dem Verlassen der Glaubensgemeinschaft und mit gottlosen Irrwegen im Zusammenhang stehen (Hebr 10,24-25; 2Tim 2,17-18; 4,10).

Was ist mit Sünden gemeint, die aus Versehen begangen wurden? In den Gesetzen über die Sündopfer lesen wir immer wieder folgende Satzstellung: „Dies gilt, wenn jemand ohne Absicht gegen eines von den Geboten des Herrn sündigt ...“ (Lev 4,2.13; siehe 4,1-12; 5,14-16). „Und wenn ihr aus Versehen eines dieser Gebote nicht befolgt, die der Herr dem Mose gegeben hat ...“ (Num 15,22-31). Dann werden die Opfer genannt, die erforderlich sind. Daraus erkennen wir, dass Sünden aus Versehen verzeihlich waren. Nur wer mit Absicht d. h. wissentlich sündigte, musste sterben, da es dafür kein Opfer gab (siehe auch Lev 14,29-31). Es geht hier nicht um Sünden, die aus Unkenntnis der Gebote geschahen, denn Unwissenheit schützt vor Strafe nicht (Lk 12,47-48; Lev 5,17-19). es geht um versehentliche Sünden, ohne Absicht! Versehentliche Sünden geschehen heute noch aus unüberlegten Handlungen durch die wir hineingeraten und anschliessend reumütig werden (Gal 6,1). Beispiel: Hass, Zorn, Streit, böses Benehmen. Fleischliche Lüste, Abirrungen aller Art. Es geht auch um Sünden, die wir uns (noch) nicht bewusst sind, weil wir uns noch zu sehr etwas vormachen. Wir glauben unbewusst vielen Lügen (Lk 23,34). Wir sehen uns oft in einem besseren Licht als wir in Wahrheit sind (Ps 19,13). Gläubige haben das Potential zu wachsen und immer mehr loszulassen von ihren Rechtfertigungen über falsches Benehmen. Das sind die Sünden, mit denen der Hohe Priester im AT verständnisvoll umgehen soll (Hebr 5,2), denn er kennt die menschlichen Schwachheiten aus persönlicher Erfahrung.

Deshalb musste der Hohe Priester zuerst für seine eigenen Sünden Opfer darbringen, bevor er die Sünden des Volkes sühnen konnte (V. 3; Lev 9,7; 16,11.17; Hebr 7,27-28). Jesus hingegen war ohne Sünde und deshalb ist er auch das perfekte Sühnopfer für unsere Sünden (Hebr 5,3; 7,27; 1Petr. 2,21-22; Jes 53,9).

 

 II.   Die Fähigkeit eines Hohen Priesters (Verse 5-10)

Der Hohe Priester ist ein Schatten auf Christus. (Siehe Schatten & Wirklichkeit 4&17.) Im NT wird nirgends so ausdrücklich von Jesus als unseren Hohen Priester gesprochen. Diese Erkenntnis erfahren wir nur aus dem Hebräerbrief.

Die erste Wahrheit, die wir erkennen aus Vers 5 ist, dass Jesus sich nicht selbst verherrlichte.
In Vers 4 und 5 gibt es einen Kontrast zwischen Ehre (τιμή) und Herrlichkeit oder Verherrlichung (δοξάζω). Der Hebräerschreiber sagt, dass die Ehre dem Hohen Priester zukam, aber die Herrlichkeit Jesus Christus zusteht. Die Herrlichkeit geht über die Ehre hinaus. Diese Feinheit ist leider in unserer Zürcherübersetzung nicht ersichtlich, da in beiden Versen das deutsche Wort „Würde“ genommen wurde. Jesus hat sich seine Aufgabe also nicht selbst ausgesucht, sondern er wurde von Gott dazu berufen.

Vermutlich dachten viele Juden, dass Jesus seine Königswürde vortäuschte, doch die Gläubigen erkannten, dass Jesus der Sohn Davids war, der Messias. Deshalb wird im Vers 5 der Ausdruck „Christus“ bewusst verwendet. Christus = Gesalbter (d. h. König). Christus (griechisch) ist der Messias (hebräisch). Das heisst, Christus ist König und Hoher Priester. Einige Juden warteten auf das Kommen von zwei Messiassen. Sie warteten auf einen König und auf einen, der ihnen als Priester dienen sollte.

Doch der allmächtige Gott hat seinen Sohn als Mensch auf diese Welt gebracht (Hebr 1,5; 5,5). Er ist von höchstem Rang, weil er göttlichen Ursprung hat (Ps 110,4). Deshalb wurde er auch vom höchsten Gott gezeugt (Mt 3,17) und eingesetzt bei seiner Auferstehung (Apg 13,33; Röm 1,4).

Dann wird zum ersten Mal im Hebräerbrief das Konzept Messias und Melchisedek vorgestellt: Jesus wurde nach der Ordnung des Melchisedek eingesetzt zum Priester. Jesus musste nicht von Menschen zum Hohen Priesteramt bestätigt werden. Jesus wurde von Gott selbst bestätigt und dies versuchte er vergebens seinen jüdischen Brüdern zu erklären (Joh 8,42).

Bei den alttestamentlichen Zitaten handelt es sich nicht bloss um zwei, sondern um drei Stellen aus den Psalmen, die als Beweistexte der frühen Christenheit dienten (Ps 110,1.4; 2,7). Die beiden Stellen aus Psalm 110 enthalten die Zusage an Jesus, Sohn und Hoher Priester Gottes zu sein, während sich Psalm 2 auf seine Berufung bezieht. Die Berufung erfolgte vor seiner Menschwerdung und wurde erst wirksam im Leiden und Sterben. Die Berufung erfährt ihre Bestätigung in der Auferstehung und Himmelfahrt Christi.

Priester in Ewigkeit zu sein ist das höchste Amt, das es gibt; es ist keine Steigerung mehr möglich. Das Priestertum Christi wird nie ersetzt werden, wie es mit dem Priestertum Aarons geschah. Der Begriff „ewig“ oder „Ewigkeit“ bedeutet im AT oft „für eine festgelegte Zeit“. In Exodus 12,14 wird auf das Passa Bezug genommen, dass eine „ewige Ordnung“ sein soll. Später wird vom Sabbat geredet der als „ewiger Bund“ gefeiert werden soll (Ex 31,16-17). Auch das Priestertum Aarons wird als „ewiges Priestertum“ bezeichnet (Ex. 40,15). Auch das Priestertum Christi dauert bis zum Ende des christlichen Zeitalters. Dann wird Jesus das Reich dem Vater übergeben (1Kor 15,24-28). Es ist unwahrscheinlich, dass Jesus auch weiterhin für uns eintreten wird beim Vater, da wir ja selbst beim Vater sein werden. Am Ende der Tage wird Jesus sein Hohes Priesteramt ablegen und seine Herrschaft als König wird nicht länger nötig sein. Denn im Himmel wird es keine Sünde mehr geben und das Opfer Christi wird nicht mehr gebraucht (Offb 21,27; Hebr 7,25). Wir alle werden mit Christus herrschen in alle Ewigkeit (Offb 20,6; 22,5).

Die zweite Wahrheit ist: Jesus betete mit grosser Kraft (V. 7).
Wie der Hohe Priester im AT brachte auch Christus Opfer dar, d. h. sich selbst. Sein ganzes irdisches Leben war zwar ein einziges Opfer. Doch hier (in V. 7) wird besonders der Gebetskampf im Garten Gethsemane und der Kreuzestod auf Golgota angesprochen. Jesus hat angesichts seines Todes Opfer dargebracht (προσφέρω). Dieser Begriff kommt jetzt zum dritten Mal vor (siehe 5,1.4.7).

Es werden drei Arten des Gebets genannt, wobei jedes weitere stärker ist als das vorhergehende:

Gebete oder Bitten (δέησις)
Dieser Begriff wurde nicht nur für das Beten verwendet. Es war ein Gefühl der Not, der sich in einer Bitte ausdrückte. Um was bat Jesus in seiner Not? Er bat den Vater, dass der Todeskelch an ihm vorüber gehen möge (Mt. 26,39). Doch dieser egozentrische Gedanke kann nicht der Hauptgrund seiner Bitte gewesen sein. Jesus deutete es Petrus ja vorher an, dass er den Todeskelch trinken müsse (Joh 18,11). Nur so konnten auch die Schriften erfüllt werden (Mt 26,54). Jesus entschied sich freiwillig für den Tod am Kreuz (Joh 10,11.15.17-18). Trotzdem war er zu Tode betrübt (Mt 26,38). Er bat den Vater um Kraft für den Höhepunkt seiner göttlichen Mission. Wäre Jesus dazu nicht bereit gewesen, dann hätten wir alle in unseren Sünden sterben müssen (Joh. 8,21). Jesus wusste ganz genau was er tat. (Siehe Tod & Auferstehung, L. 9b.) Seine Gottesfurcht (εὐλάβεια) machte ihm die grosse Verantwortung bewusst, die auf ihm lastete. Er musste ja für die Sünden der ganzen Menschheit sterben. Er musste gegen seine göttliche Natur handeln und von Gott getrennt werden (Mt 27,46). Dabei griff Jesus nie zur Selbsthilfe, sondern überliess alles im Vertrauen dem Vater der ihn in seiner Not erhörte (Lk 22,43).

Flehen (ἱκετηρία)
Diese Bitten brachte Jesus mit grossem Flehen vor den Vater. Er ging drei Mal hin und betete immer heftiger (Mt 26,39.42,44). Sein Schweiss tropfte wie Blut zur Erde (Lk 22,44). Am Kreuz flehte er beim Vater um Gnade für seine Feinde (Lk 23,34). Es war Jesus ein grosses Anliegen, dass seine Mission gelingen würde. Davon hing die Zukunft von Generationen ab. Jesus flehte auch für uns beim Vater.

Geschrei (κραυγή)
Das Schreien Jesu drückt sein Leid und seinen grossen Schmerz aus. Das einzige Mal, in der das Wort Agonie für Jesus gebraucht wird, ist in seinem Gebet in Gethsemane (Lk 22,44). Das griechische Agonia ist der höchste Ausdruck für Schmerz (Lk 13,24). Agonia kommt nicht im Zusammenhang mit dem Kreuz vor. Wir lesen von Jesu letzten Worten am Kreuz, als er mit lauter Stimme schrie (Mt 27,46.50).

Tränen (δάκρυον)
Jesus weinte am Grab des Lazarus (Joh 11,35). Jesus weinte auch um Jerusalem (Lk 19,41). Jesus weinte im Garten Gethsemane und am Kreuz.

Schlussfolgerung: Jesus zeigt auch uns, wie wir unsere Gebete in der Not vor Gott darbringen sollen, um Erhörung zu finden (Ps 50,15). Eine der grössten Unterlassungssünden ist die Vernachlässigung des Gebets. Jesus drängte seine Jünger zu beten, dass sie nicht in Versuchung kommen (Lk 22,40). Er versprach ihnen etwas früher, dass ihre Gebete Erhörung finden werden (Mt 21,22). Leider lesen wir nirgends, dass auch nur einer seinem Aufruf folgte und wach blieb in den schwersten Stunden Jesu (Mt 26,45).

Erhörung heisst nicht in jedem Fall (sofortige) Befreiung! Bsp. Wenn mein Kind mich bittet um Schokolade, dann gibt es drei Möglichkeiten: Ich gebe meinem Kind Schokolade. Ich gebe meinem Kind keine Schokolade. Ich gebe meinem Kind später Schokolade. In diesem Sinn beantwortet Gott auch unsere Gebete, die wir jedoch nicht verbal wahrnehmen können. Erst die Erfahrung lehrt uns was Gottes Antwort war oder ist auf unser Gebet. Erfolgreiche Gebete beinhalten folgende Konditionen: Bekenne deine Sünden und bitte um Vergebung (Joh 9,31; Jes 59,1-2; 1Joh 1,9). Glaube, dass der Herr dein Gebet erhört und beantwortet (Jak 1,5-7). Bete im Namen Jesu Christi (Joh 14,13). Bete nach dem Willen Gottes (1Joh 5,14). Bete um Kraft, Gottes Willen zu vollenden (Mt 26,42). Weshalb befreite Gott seinen Sohn nicht von seinen Kreuzesleiden? Weil ER mit ihm ein höheres Ziel verfolgte, nämlich; die Erlösung der Menschheit von der Sünde. Weil Jesus durch seine Leiden den Gehorsam kennenlernte. Auch wir werden von Leiden nicht verschont bleiben (Hebr 12,5-11).

Die dritte Wahrheit ist: Jesus lernte den Gehorsam (V. 8).
Fragen: Wie ist das zu verstehen? War Jesus ungehorsam oder gar rebellisch? Antworten: Selbst als Kind war er seinen Eltern gehorsam (Lk 2,51). Für Jesus gab es nichts Wichtigeres im Leben als den Willen des Vaters zu tun (Joh 4,34). In seinem Abschiedsgebet sagte Jesus zum Vater (Joh 17,4): „Ich habe dich auf Erden verherrlicht, indem ich das Werk vollendet habe, das zu tun du mir aufgetragen hast.“ Jesus war immer gehorsam und tat immer was der himmlische Vater ihm aufgetragen hatte.

Trotzdem musste Jesus den Gehorsam lernen (μανθάνω)? Das ist der Unterschied zwischen Unschuld und Rechtschaffenheit. Unschuld ist Leben das keiner Prüfung unterzogen wurde. Rechtschaffenheit ist geprüfte Unschuld ohne Fehl. Jesus war allezeit bereit zu gehorchen, aber um seine Rechtschaffenheit zu beweisen, musste seine Unschuld nachgewiesen werden. Dies konnte nur über den Gehorsam geprüft werden. Jesus „erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). Er hätte den Vater um zwölf Legionen Engel bitten können, die ihm das Kreuz erspart hätten, doch das wäre Ungehorsam gewesen gegenüber dem Willen Gottes (Mt. 26,53). Er hätte vom Kreuz herabsteigen können, wenn er wollte, doch er blieb seinem Auftrag treu bis in den Tod (Mt 27,42-44). Gehorsam zu sein muss nicht in jedem Fall Schmerz und Leid bedeuten. Doch Jesus war bereit sogar Todesschmerzen und Leid auf sich zu nehmen. Er vertraute Gott völlig und war bereit sogar sein eigenes Leben loszulassen. Das ist viel extremer, wie z. B. sich von einem Podest nach hinten fallen zu lassen im Vertrauen dass Freunde uns auffangen.

Wie weit geht unser Glaubensgehorsam? Wie weit vertrauen wir dem Herrn selbst in grössten Leiden? Jesus qualifizierte sich als gehorsamer Sohn und Hoher Priester. Sein Lernprozess geschah nicht durch Fehlermachen, sondern durch den Gehorsam auf jeder Stufe (2,17; 4,14). Vielleicht hatte der Hebräerschreiber die messianische Prophezeiung im Sinn von Jesaja (Jes 50,4-5). Obschon Jesus Mensch war wie wir, unterwarf er sich vollständig dem Willen Gottes, zum Nutzen der ganzen Menschheit.

Jesus ist uns zum Urheber ewigen Heils geworden (V. 9).
Urheber (αἴτιος) bedeutet Gründer, Verursacher, Veranlassung, Quelle. Es gibt keinen andern Urheber, keine andere Quelle zum ewigen Heil! Es ist auch in keinem andern das Heil; „denn uns Menschen ist kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Wichtig ist, dass wir erkennen, dass Jesus durch seinen Gehorsam auch nur die erretten kann, die wie ER gehorsam sind. Wir können das ewige Heil verlieren, wenn wir ungehorsam werden und bleiben.

Die Lehre Calvins behauptet aber das Gegenteil und besagt, wenn es ewig ist, dann kann es nicht verloren gehen. Dies steht entschieden im Widerspruch zur Bibel. Natürlich hat Jesus uns ein ewiges Heil gebracht, doch dieses Heil muss um jeden Preis festgehalten werden, sonst geht es uns verloren (1Tim 1,19; Röm 11,22; Gal 5,4). Um gerettet zu werden muss der Mensch dem Evangelium gehorsam sein (1Petr 4,17; 2Thess 1,7-9). Das griechische Wort hören (ἀκούω) ist verstärkt und bedeutet mehr als blosses Hören; es bedeutet gehorsam sein (ὑπακούω). Jeder Gläubige muss nicht bloss hinhören und Herr, Herr rufen, sondern auch den Willen des Vaters im Himmel tun (Mt 7,21). Jesu Opfer am Kreuz kann uns nur durch den Gehorsam retten! Wer nicht gut hinhört und danach handelt was Jesus sagt, der ist wie ein Mann, der sein Haus auf dem Sand baute (Mt 7,24-27). Dieser Gehorsam des Glaubens geschieht nicht etwa von selbst sondern soll in uns immer mehr wachsen durch den Heiligen Geist (2Petr 1,5-11).

Die vierte Wahrheit ist: Jesus wurde als Hoher Priester Gottes eingesetzt (V. 10).
Jesus Christus ist der einzige Hohe Priester, der wirklich unsere Bedürfnisse vor Gottes Thron tragen kann. Auf dem Triumphbogen von Kaiser Konstantin in Rom standen die Buchstaben „PM“, die Pontifex Maximus (= grosser oder oberster Priester) bedeuten. Pontifex (lat.) bedeutete ursprünglich Brückenbauer. Der Hohe Priester war die Brückenverbindung zwischen Gott und den Menschen. Konstantin gab sich also als Hoher Priester aus, dem sich später alle nachfolgenden christlichen Führer anschlossen. Heute ist das Pontifikat das Papstamt der kat. Kirche. Damit setzen sich Menschen Christus gleich, dem einzigen und wahrhaften Hohen Priester. Es ist dasselbe als wären die hebräischen Christen damals zum Priestertum Aarons zurückgekehrt.

Das Neue Testament spricht von keinen neuen oder weiteren Hohen Priestern, die eingesetzt werden sollten. Gottes Absicht war es Jesus als Priester in Ewigkeit einzusetzen (προσαγορεύω). Es ist eine öffentliche Proklamation, eine Ernennung gemäss Psalm 110,4, die für den ganzen neuen Bund gilt (Hebr 7,23-24). Jesus Christus ist und bleibt unser Hoher Priester nach der Weise Melchisedeks. (Siehe dazu nochmals die Bestätigung in Vers 6.) Zu Melchisedek werden wir in Kapitel 7 ausführlich Stellung nehmen.

Schlussfolgerungen: Es gibt fünf Wahrheiten in den Versen 5-10: Jesus verherrlichte sich nicht selbst (V. 5). Jesus betete mit grosser Kraft (V. 7). Jesus lernte den Gehorsam (V. 8). Jesus wurde als Hoher Priester Gottes eingesetzt (V. 10). Jesus wurde bis jetzt verglichen - mit Propheten und Engeln, mit Mose und Josua, mit Aaron, wobei sich immer wieder Jesu überragende Grösse und Herrlichkeit zeigt.

Was sind wir bereit zu lernen? Lernen setzt Demut, Offenheit, Veränderungsbereitschaft voraus. Lernen bedeutet Hingabe, Verzicht, Leiden. Etwas Schönes zu lernen macht Spass, aber Gehorsam zu lernen ist nicht besonders attraktiv. Sind wir bereit den Gehorsam zu lernen? Auch wir lernen den Gehorsam nur durch Leiden wie Christus (Hebr 12,5-11).

 

 III. Was sind unmündige Christen? (Verse 11-14)

Christen, die schwerhörig oder zu träge sind zum Hören. „Dazu haben wir ... manches Wort zu sagen“ (V. 11). Wozu? Gemeint ist das was der Hebräerschreiber über den Hohen Priester Jesus sagte (5,1-10). Gemeint ist Jesus, der Hoher Priester nach der Weise Melchisedeks wurde. Was bedeutet das? Wer war Melchisedek?

Über dieses Thema müsste nun ausführlicher berichtet werden. Doch das ist nicht möglich, weil die Zuhörer schwerhörig geworden sind. Dieses Wort schwerhörig (νωθρός) kommt ein weiteres Mal vor im NT. In Hebräer 6,12 heisst es so: „... dass ihr nicht träge werdet ...“ Die Christen, denen dieser Brief geschrieben wurde waren wie die Israeliten im AT (4,2). Das Wort Gottes nützte ihnen nichts, weil sie nicht glaubten. Auch uns kann das Evangelium nichts nützen, wenn wir es nicht hören und anwenden wollen (Mt 7,24-27). Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist ein gutes Beispiel für diese Gefahr (Mt 25,14-30, siehe Gleichnisse L. 24).

Das Thema von Melchisedek wird zu einem späteren Zeitpunkt nochmals hervorgeholt (Kap. 7-9).
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Im Gegensatz zu seinen Schülern wird der Hebräerschreiber nicht auch noch müde und gibt nicht auf. Im Glauben gibt es manchmal Höhen und Tiefen aber wichtig ist dass wir immer wieder aufstehen und nicht aufgeben (2Kor 4,8-10; 1Kor 15,58). Auch Timotheus musste angespornt werden, weil er offenbar müde geworden war (2. Timotheus 1,6; siehe RV-Kommentar). Er sollte die besondere Geistesgabe nicht vernachlässigen, die ihm durch die Handauflegung des Paulus geschenkt wurde (1Tim 4,14). Er sollte alles daran setzen, um das Wort der Wahrheit zu lehren (2Tim 2,15).

Christen, die unfähig sind andere zu Lehren (V. 12a).
Es hatte nichts mit einem Mangel an Intelligenz zu tun. Im Gegenteil! Sie sind einfach nur geistig faul geworden und lassen sich lieber bedienen, statt selbst anderen beizustehen und zu dienen. Sie waren früher bereit grosse Leiden auf sich zu nehmen (Hebr 10,32). Sie sind unmündig geblieben, d. h. auf das Irdische beschränkt (1Kor 3,1). Es ist nichts Falsches ein Baby zu sein sondern Baby zu bleiben. Wir werden sogar ermahnt in einer Hinsicht immer unmündige Kinder zu bleiben (Mt 18,3; 1Kor 14,20). Alle Gläubigen sollten mit der Zeit fähig sein andern die Grundlagen des Evangeliums weiterzusagen (1Petr 3,15; 2Tim 2,2). Wie wachsen wir im Glauben? (siehe Glaubenswachstum, 2. Anleitung.)

Als die Gemeinde ihren Anfang nahm erhielten einige Christen bestimmte Geistesgaben durch die Hände der Apostel (1Kor 12,28; Apg 8,14-17; 19,1-6; Röm 1,11; 1Kor 12,4-7; 2. Tim. 1,6). Damit gab Gott den Gemeinden eine zusätzliche Hilfe durch den Heiligen Geist. Diese Ermahnung beinhaltet die Tatsache, dass die Geistesgaben damals schon aufhörten. Die Zukunft der Gemeinde lag nun an allen Christen, die das fertig aufgeschriebene Wort Gottes hörten oder lasen und weiter verkündigten. Jakobus warnt davor, dass nicht viele als Lehrer auftreten sollten, denn die Lehrer werden ein strengeres Urteil empfangen (Jak 3,1; 1Kor 12,29). Es besteht ein Unterschied zwischen einem (Vollzeit-) Prediger oder Lehrer der Gemeinde und einem Gläubigen, der das Evangelium anderen weiter erzählt. Es gibt wenige Dinge, die einen Gläubigen glücklicher machen können, als anderen den Glauben an den lebendigen Gott weiter zu vermitteln (3Joh 4).

Was sind „Anfangsgründe“ (στοιχεῖα)?
Es geht um Grundlehren, Elementarkenntnisse über Gottes Wort (= Offenbarungen) sei es im AT oder im NT (1Petr 4,11). Im AT lernen wir die Prinzipien des Gehorsams (das Gesetz als Zuchtmeister oder Erzieher: Gal 3,24). Im NT lernen wir wo und wie wir heute Gottes Wort gehorsam sind.

Christen, die noch mit Milch ernährt werden statt mit fester Nahrung (V. 12b-14). Im Wort Gottes finden wir Milch und feste Nahrung (1Kor 3,1-3). Milch-Christen - sind unverständig in der Lehre von der Gerechtigkeit, sie brauchen Elementarunterricht, sind unmündig wie Kinder, denen die nötige Erfahrung fehlt (1Petr 2,1-3). Feste-Nahrung Christen - sind erwachsen und reif, d. h. sie sind geschult und können andere lehren, haben geübte Sinne, sind erfahren und urteilsfähig, d. h. sie können zwischen Gut und Böse unterscheiden.

Wichtig ist, dass in der örtlichen Gemeinde eine gesunde Ausgeglichenheit besteht zwischen Lehre und Anwendung. Siehe griechische Begriffe: Sophia, Phronesis und Synesis (Koh 12,12-14; Mi 6,8). Die Kunst des christlichen Lebens besteht darin, die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen oder zu verlinken (Jak 1,22-25; 1Joh 3,18). Wir alle werden einmal vor Gottes Thron erscheinen, der uns nach unseren Taten richten wird (2Kor 5,10). Das heisst, die Erkenntnis dient nur dazu noch besser zu verstehen was in den Augen des Herrn gute Werke sind (Jak 1,26-27). Denn es geht nicht darum irgendetwas Gutes zu tun, sondern das was der Wille des Herrn ist (Mt 7,21-23).

 

 Links:

- Hebräer-05b:  Die Nachkommen Levis

- Hebräer-06:  Die Verheissung Gottes