Auslegung-03: Den grösseren Zusammenhang beachten

Auslegung der Bibel

 

Wo fangen wir an, wenn wir einen Abschnitt auslegen? Eine alte englische Redensweise besagt: „Ein Text aus dem Zusammenhang gerissen, kann eine Ausrede für alles sein.“ Deshalb ist die wichtigste Regel zum Verständnis der Bibel: „Lege einen Abschnitt immer im Licht seines Zusammenhanges aus.“

Daraus ergibt sich die Regel, dass wir die Auslegung eines Verses nicht damit beginnen sollten, Begriffe zu definieren. Vielmehr sollten wir den Zusammenhang betrachten, in dem sich der Abschnitt befindet. In dieser Lektion werden die Grundregeln vermittelt, wie wir den „grösseren Zusammenhang“ beachten.

Was ist der grössere Zusammenhang?

Die Bibel als ein Ganzes sehen

Zuerst müssen wir jeden Vers im Zusammenhang der Bibel als ein Ganzes verstehen lernen. Dabei sollten wir die Bibel auf die gleiche Art interpretieren wie ein Gemälde. Wenn wir ein Gemälde oder ein anderes Kunstwerk betrachten, schauen wir dann zuerst auf die Details? Nein, wir sehen das Gemälde als ein Ganzes an! Erst wenn wir das Werk als Ganzes erfasst haben, studieren wir Einzelheiten, wie beispielsweise den Pinselstrich, mit dem die kleinen Details ausgeschmückt sind. Ebenso sollten wir zuerst die Bibel als Ganzes sehen, um danach einen Bibelvers zu betrachten. Erst dann können wir näher darauf eingehen, was der studierte Abschnitt zum ganzen „Bild“ beiträgt.

Die Bibel ist ein Buch mit einem Autor – Gott hat eine Hauptperson – Jesus Christus. Sie erzählt eine Hauptgeschichte. Gott bringt den Menschen durch die Vergebung zu sich selbst zurück. Durch die Sünde im Garten Eden wurde er von ihm getrennt.

Es ist eine Tatsache: Die Bibel ist ein Buch. Für unsere Auslegung bedeutet das: (1) Wir denken darüber nach, wie der jeweilige Abschnitt mit der Hauptaussage der Erlösung zusammenhängt. (2) Die Auslegung eines entsprechenden Abschnittes muss im Einklang mit der Lehre der gesamten Bibel übereinstimmen. Zum Beispiel befiehlt Gott Abraham, seinen Sohn zu opfern. Ein unerfahrener Bibelleser könnte aufgrund dieser Begebenheit zur Schlussfolgerung neigen, dass Gott menschliche Opfer gutheisst und diese auch heute von uns fordert. Wer aber mit der Bibel als ein Ganzes vertraut ist, weiss um Gottes Abneigung gegen Menschenopfer. Dieses Wissen lässt uns den Befehl Gottes an Abraham als Glaubensprobe besser verstehen.

Altes oder Neues Testament

Zweitens müssen wir beim Auslegen eines Abschnittes zwischen Altem und Neuem Testament unterscheiden.

Obwohl die Bibel ein Buch ist, sind es doch zwei Teile: das Alte und das Neue Testament. Das Alte Testament erzählt, wie der Mensch sündigte und welche Vorbereitungen Gott traf, um die gefallene Menschheit zu retten; er berief Abraham. Es berichtet, wie Gott ein Volk aus der Nachkommenschaft Abrahams bildete; daraus sollte der Messias hervorgehen. Wir lesen, wie Gott dieses Volk führte, während er die Welt für den kommenden Messias vorbereitete. Das Alte Testament ist ein Buch über und für das Volk Israel. Das Neue Testament erzählt, wie der versprochene Messias für die ganze Menschheit kam. Es beschreibt seine Geburt, sein Leben, seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt. Es zeigt, wie er seine Gemeinde gegründet hat und was er von ihr erwartet. Es verspricht, dass Christus wieder kommen wird, um sein Volk aus allen Nationen zu retten.

Deshalb müssen wir uns bei jedem gelesenen Abschnitt fragen, wie er zur Geschichte und zur Bestimmung des jeweiligen Testamentes passt. Wenn wir die Schriften richtig anwenden wollen, dann sollten wir beispielsweise keine alttestamentlichen Gebote für uns Christen heute als bindend betrachten. Das Neue Testament lehrt, dass das Alte Testament mit seinem Gesetz weggenommen wurde. Die Menschen heute sollen allein auf Christus hören und ihm gehorchen (siehe Gal 3,24-25; Eph 2,15; Hebr 1,1-2; 8,13).

Verschiedene Gattungen der Literatur

Drittens besteht die Bibel aus verschiedenen Literaturgattungen, welche die einzelnen Bücher prägen. Daher beachten wir, in welchen Bereich des Alten oder Neuen Testamentes der studierte Abschnitt gehört. Das Alte Testament enthält Gesetz, Geschichte, Poesie, Weisheitsliteratur und Prophetie. Im Neuen Testament finden wir die Evangelien oder Biografien, Geschichte (Apostelgeschichte), Briefe und die Offenbarung, die häufig der prophetischen Gattung zugeordnet wird.

Diese Unterscheidung ist nötig, da unterschiedliche Gattungen der Literatur nicht auf die gleiche Weise behandelt werden dürfen. Nicht jeder Abschnitt hat einen Gesetzescharakter.

Sammlungen von Büchern

Viertens kann sich der grössere Zusammenhang eines Abschnittes über mehr als ein Bibelbuch erstrecken. So ist dies beim Studium von zwei Büchern des Neuen Testamentes, die vom gleichen Schreiber stammen und dem gleichen Empfängerkreis zugedacht sind – wie zum Beispiel Lukas und Apostelgeschichte. Das gleiche gilt für 1 und 2 Korinther, 1 und 2 Thessalonicher oder 1 und 2 Timotheus. Wir legen jeden Abschnitt im Lichte der beiden Bücher aus. Im Alten Testament wurden die ersten fünf Bücher von einem Schreiber verfasst, Mose. Daher ist der gesamte Pentateuch der grössere Zusammenhang für jeden Text dieser fünf Bücher.

Auch in den geschichtlichen Büchern des Alten Testamentes erstreckt sich der grössere Zusammenhang über mehr als ein Buch. In einigen Fällen, wie 1 und 2 Samuel, 1 und 2 Könige oder 1 und 2 Chronik, waren die zwei Bücher ursprünglich nur eines. Darüber hinaus wurden Josua, Richter, Samuel und die Könige zur gleichen Zeit geschrieben oder zusammengestellt; sie sind deshalb als Einheit gedacht. Sie wurden in der Hebräischen Bibel die „früheren Propheten“ genannt. Diese Bücher wurden offensichtlich zur gleichen Zeit, Ende des 6. Jahrhunderts vor Christus, fertig gestellt und enthalten somit frühes Material. Wir sollten fragen: „Hat diese Sammlung ein Thema oder ein übergeordnetes Prinzip?“ „Gibt es einen Gesamt-zusammenhang?“ Diese Bücher fangen mit dem Einzug in Kanaan an und hören mit der babylonischen Gefangenschaft auf. Man könnte sie folgendermassen nennen: „Die Geschichte Israels im Land vom Einzug bis zum Wegzug.“ Wenn wir diese Tatsache erkennen, sehen wir, dass diese Sammlung eine Lektion lehrt oder in Erinnerung rufen will: Hätten die Israeliten nach dem Gesetz gelebt, dürften sie im Land weiterleben. Doch Israel weigerte sich, nach dem Gesetz zu leben, darum wurde das Volk aus dem Land vertrieben. Jeder Text in irgendeinem Buch aus dieser Sammlung sollte im Licht dieses Gesamtzusammenhanges verstanden werden.

Das einzelne Buch

Der letzte und wichtigste Aspekt des grösseren Zusammenhanges, den wir betrachten sollten, ist das Buch selbst, in dem der Abschnitt steht. Einerseits ist die Bibel ein Buch, das aus zwei Teilen besteht. Andererseits ist sie auch aufgeteilt in sechsundsechzig Bücher, geschrieben über einen Zeitraum von ungefähr 1‘500 Jahren und von etwa 40 Schreibern. Auch wenn jeder Schreiber durch Gott inspiriert wurde, schrieben sie jeweils unter ganz bestimmten geschichtlichen Umständen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Jedes Buch wird daher im Licht dieser zeitlichen Umstände, der Zielsetzung des Schreibers und seiner Leserschaft untersucht und ausgelegt.

Zur Erreichung dieses Zieles befleissigen wir uns, das Buch als ein Ganzes zu betrachten und versuchen, die Botschaft für die erste Leserschaft zu erfassen. Erst nachdem wir uns mit dem ganzen Buch vertraut gemacht haben, sind wir befähigt, einen näheren Blick auf den Text zu werfen, den wir auslegen wollen. Es gilt festzustellen, was er zur Gesamtbotschaft des Buches beiträgt.

Fragen, die es zu beachten gilt

Um ein Buch als Ganzes verstehen zu können, sollten wir zuerst folgende Grundfragen stellen:

1. SCHREIBER: Wer schrieb es?

2. DATUM: Wann wurde es geschrieben?

3. EMPFÄNGER: Für wen wurde es geschrieben?

4. ORT(E): Wo befand sich der Autor beim Schreiben? Wo waren die ersten Leser als Empfänger?

5. GESCHICHTE: Wann und wie fanden die erwähnten geschichtlichen Ereignisse statt? Was waren die geschichtlichen Umstände, unter denen das Buch geschrieben wurde? Aus welchem Grund wurde es geschrieben?

6. LITERARISCHE FORM oder GATTUNG: Um was für eine Art Literatur handelt es sich beim Buch?

7. ZWECK, ZIEL: Die wichtigste Frage ist „Warum?“ „Warum wurde das Buch geschrieben?“ Welche Absicht verfolgte der Schreiber? Was hoffte er zu erreichen? Was war sein Ziel? Wenn wir keine Ahnung haben, was der Zweck des Buches als Ganzes ist, sind wir auch nicht in der Lage, irgendeinen Abschnitt daraus auszulegen.

8. BOTSCHAFT, THEMA: Eng mit dem Zweck verknüpft ist die Botschaft, die Hauptaussage, das Thema des Buches. In einigen Fällen kann beides identisch sein; in vielen Fällen lässt es sich aber unterscheiden. Der Zweck ist das, was der Schreiber erreichen wollte. Die Botschaft, das Thema, die Hauptaussage hängt damit zusammen, wie er dieses Ziel erreichen wollte.

9. ÜBERBLICK: Wie kann der Inhalt des Buches zusammengefasst werden? Wie sieht der Aufbau aus? Wenn wir ein Buch zusammenfassen, sehen wir nicht nur, worum es in diesem Buch geht, sondern erfahren auch, wie das gesamte Thema darin aufgebaut ist.

Nicht alle diese Fragen können jeweils in jedem Bibelbuch gleich gut beantwortet werden. Einige Bücher sind weniger bekannt, einige wurden über einen grösseren Zeitraum geschrieben (Psalmen, Sprüche), einige sind schwierig zusammenzufassen und bei einigen lässt sich wenig über die Entstehungszeit, die Leserschaft oder die geschichtlichen Umstände sagen. Trotzdem können wir bestimmte Schluss-folgerungen über den Zweck und das Thema eines Buches ziehen, wenn wir es lesen. Zusätzlich hilft es uns bei der Auslegung eines Abschnittes, wenn wir nach den Umständen seiner Entstehung fragen.

Drei Beispiele wie einleitende Fragen zu einem Buch in die Auslegung einbezogen werden

Nehmen wir drei Beispiele aus dem Alten und Neuen Testament, die verdeutlichen, wie die Betrachtung eines Buches unsere ganze Auslegung beeinflusst. Diese Beispiele helfen, einzelne Abschnitte besser zu verstehen in dem Wissen, wer das Buch wann, warum und für wen geschrieben hat.

Offenbarung. Fangen wir mit dem letzten Buch der Bibel an und denken über die Offenbarung nach. Von keinem anderen Buch der Bibel gibt es mehr Auslegungsvarianten. Gibt es etwas, das wir aus den oben genannten Grundfragen gewinnen können, um die Anzahl der möglichen Auslegungen einzuschränken?

Die Offenbarung wurde für die leidende und verfolgte Gemeinde geschrieben. Sie schenkt Trost und Hoffnung für die leidende Gemeinde, wie dies aus dem Inhalt hervorgeht. Was bedeutet diese Tatsache? Das Buch wurde an Christen des ersten Jahrhunderts geschrieben. Ihnen galt diese besondere Botschaft. Von ihnen konnte erwartet werden, dass sie diese Botschaft verstanden und die Worte befolgten. Offenbarung 1,3 sagt: „Glückselig, der da liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe.“

Was bedeutet diese Tatsache für die Auslegung? Sie bedeutet zumindest folgendes: Jede Auslegung des Buches, die für die ersten Leser keinen Sinn ergeben hätte, kann keine richtige Auslegung sein.

Wenn wir nur schon daran denken, wie die ersten Leser auf diese Botschaft reagierten, dann hilft das uns besser zu verstehen, wie dieses Buch ausgelegt werden soll: Es ist so auszulegen, wie die ersten Leser – verfolgte Christen – es verstanden und in ihrer bestimmten Situation anwenden konnten.

Prediger. Lasst uns als nächstes das Buch des Predigers anschauen! Prediger (hebräisch Kohelet) zählt zu den Poesie-Büchern des Alten Testaments. Sie werden auch Weisheitsliteratur genannt. Die Absicht des Predigers ist die Nichtigkeit, die Vergeblichkeit, die Bedeutungslosigkeit des Lebens zu zeigen. Der Schreiber fängt an und sagt: „Nichtigkeit der Nichtigkeiten, alles ist Nichtigkeit!“ (Koh 1,2). Dann fährt er fort und sagt, dass die meisten Dinge, mit denen die Menschen das Leben verbringen, letztendlich nutzlos sind (s. Kapitel 1,17; 2,11.17.19.21.23.26; 3,19; 4,4.7.16; 6,2; 7,6). Er kommt zu seinem Schluss und blickt auf das Leben unter der Sonne (Koh 6,12), ohne Gott miteinzubeziehen. Wenn wir auf das Leben und die Welt „unter der Sonne“ schauen, hat es nur wenig oder gar keinen Sinn. Das ganze Buch zielt auf den letzten Vers, in dem es alles zusammenfasst mit den Worten: „Das Endergebnis des Ganzen lasst uns hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote! Denn das soll jeder Mensch tun. Denn Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in ein Gericht über alles Verborgene bringen“ (Koh 12,13-14).

Das Hauptziel und das Hauptthema dieses Buches sind offensichtlich. Alles in diesem Buch muss im Licht dieses Ziels ausgelegt werden. Folglich dürfen Abschnitte eines Bibelbuchs nicht aus dem Zusammenhang gerissen und für eigene Zwecke missbraucht werden. Zum Beispiel sagt Kohelet 9,5: „Die Toten aber wissen gar nichts.“ Beweist diese Aussage etwa, dass wenn jemand stirbt, er aufhört zu existieren oder seine Seele bis zum Tag des Gerichts schläft? Nein, weil der Schreiber das „Leben unter der Sonne“ beschreibt – ein Leben wie es sich jemandem auf der Erde zeigt, der sich über Gott keine Gedanken macht. Wenn wir einen toten Körper vom irdischen Standpunkt her betrachten, können wir daraus schliessen: „Der Tote weiss nichts, er hat kein Bewusstsein.“ Natürlich wissen wir auch, was die Bibel an andern Stellen lehrt. Daraus erkennen wir, dass eine solche Aussage nicht die vollständige biblische Lehre über die Toten wiedergibt. Daher sollte man nicht aus dem Prediger beweisen wollen, dass die Seele nach dem Tod schläft. In gleicher Weise sollte man auch nicht andere Lehren aus dem Buch ziehen, als nur die, welche im Buch offensichtlich gelehrt werden.

Genesis. Schliesslich wollen wir die Schöpfung erwähnen und einen Blick in das erste Buch des Alten Testaments, Genesis (das erste Buch Mose), werfen. Wenn wir eine Einführung für das erste Buch Mose schreiben, überlegen wir uns, wer das Buch geschrieben hat, wann es geschrieben wurde und weitere ähnliche Fragen. Die wohl wichtigste Frage aber ist „Warum wurde es geschrieben?“ oder „Was ist die Absicht des Buches?“ Dabei gilt es, die ursprüngliche Botschaft herauszuarbeiten und zu verstehen; was gewannen die ersten Leser daraus.

Wenn Christen heute das erste Buch Mose lesen und auslegen, stellen sie sich in der Regel nicht diese Fragen. Sie lesen es, weil sie nach Vorbildern des Glaubens suchen. Das erste Buch Mose enthält solche Beispiele (siehe Hebr 11). Doch selbst das überzeugendste Beispiel des Glaubens – Abraham – zeigte sich fehlerhaft. Manchmal war er sogar ohne Glauben. Diese Tatsache lässt die Frage aufkommen, ob der ursprüngliche Zweck vom ersten Buch Mose tatsächlich darin lag, uns heute Vorbilder des Glaubens vorzuführen.

Die Art, wie wir mit dem ersten Buch Mose heute umzugehen pflegen, birgt einen weiteren Auslegungsfehler in sich. Wenn wir die ersten beiden Kapitel erklären, könnten wir die meiste Zeit damit ver-schwenden, die Erzählung der Schöpfung als die einzig wahre Darstellung der Entstehung der Welt zu betonen, die ganz im Gegensatz zur Evolutionstheorie steht. Ist das eine gute Auslegung?

Klar, wenn wir die Evolutionstheorie diskutieren, werden wir zwangsläufig Kapitel 1 und 2 studieren müssen. Dabei drängt sich folgende Frage auf: Wenn es unsere Absicht ist, diesen Abschnitt zu verstehen und zu erklären, ist es dann überhaupt notwendig, die Evolutionstheorie zu widerlegen? Haben denn die ersten Leser an die Evolution geglaubt? Das ist sehr unwahrscheinlich! Denn nahezu jeder, der im Altertum lebte, glaubte an eine übernatürliche Entstehung des Universums.

Die Absicht des Schreibers des ersten Buches Mose konnte es demnach nicht sein, die Anschauung einer übernatürlichen Entstehung der Anschauung einer Evolution gegenüberzustellen. Zudem ging es Mose nicht darum, mit dem Wunder der Schöpfung diejenigen zu überzeugen, die nicht an Wunder glaubten. Vielmehr war es seine Absicht, den Schöpfungsakt des lebendigen Gottes, Jahwe, dem Aberglauben an die vielen Götter jener Zeit gegenüberzustellen.

In Kapitel 1 und 2 wird über den wahren Ursprung des Lebens berichtet. Selbstverständlich studieren wir diese beiden Kapitel, wenn wir mit irgendeiner falschen Anschauung über die Entstehung, wie die der Evolution, konfrontiert sind. Trotzdem, wenn wir die ersten beiden Kapitel wie die ersten Leser verstehen wollen, brauchen wir uns nicht mit der Evolutionstheorie auseinandersetzen. Vielmehr fragen wir uns: Was war die Absicht dieses Abschnittes im Hinblick auf die Zielsetzung des ganzen Buches?

Was ist die Absicht des Buches als Ganzes? Wahrscheinlich liefert uns Genesis 12,1-3 mit der Berufung Abrahams und dem Bund, den Gott mit ihm schloss, den wichtigsten Anhaltspunkt für den Zweck dieses Buches. Alles, was bis zu diesem Zeitpunkt berichtet wird, offenbart das Grundproblem der Sünde. In Abrahams Berufung finden wir die Lösung: Durch Abraham sollen alle Nationen gesegnet werden. Die folgenden Kapitel im ersten Buch Mose betreffen die Nachkommen Abrahams – wie sie entstanden, wie sie überlebten, wie sie sich entwickelten und vermehrten – alles, damit die Verheissung an und durch Abraham erfüllt wurde. Die Botschaft des ersten Buches Mose ist also die, dass Gottes Lösung für das Problem der Sünde in der Berufung Abrahams und seiner auserwählten Nachfolger liegt. Kapitel 1 und 2 öffnen die Bühne für die Geschichte des Volkes Gottes. Diese beiden Kapitel zeigen, wie der Mensch ins Dasein gerufen wurde und in welcher Beziehung er nun zu Gott steht.

Die Hauptbotschaft des ersten Buches Mose hat weitere Auswirkungen für die Auslegung. Zum Beispiel: Die wesentliche Wahrheit aus der Geschichte Josephs ist nicht sein bewundernswerter Charakter, sondern die Tatsache, dass durch ihn das Volk Jakobs (oder Israels) überlebte. Jeder Teil der Geschichte Josefs sollte bei der Auslegung diese Tatsache vor Augen halten.

Wie können wir entdecken, worum es in einem Bibelbuch geht? Erstens geht es darum, das Buch als Ganzes zu lesen – wenn möglich auf einmal. So können wir es in den meisten Fällen besser als Ganzes erfassen. Wenn wir es in einem Stück durchlesen, verstehen wir, wie es die ersten Leser verstanden, was der Autor bezweckte und wie er dabei bewusst vorging.

Es gibt viele schriftliche Quellen, die uns Fragen zur Einführung eines bestimmten Bibelbuches beantworten. Trotzdem dürfen uns diese nicht davon abhalten, ein Buch selbst zu lesen. Dabei sollten wir unsere eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Gesamtaussage des Buches geht.

Erforscht wird der Hauptpunkt, das Hauptthema, die Hauptbotschaft des Buches. Daher fragen wir uns, was der Schreiber erreichen wollte und welche wichtigen Punkte der Leser daraus gewinnen soll. Während wir selbst das Buch lesen, erlangen wir zunehmend eigene Schlussfolgerungen. Anschliessend können wir andere Quellen miteinbeziehen.

Wenn wir einmal eine Schlussfolgerung über den Hauptzweck, das Hauptthema oder die Hauptbotschaft erlangt haben, versuchen wir, jeden Abschnitt für unsere Auslegung im Lichte dieser Gesamtbotschaft zu sehen. Eine hilfreiche Regel zur Erinnerung: Der Schreiber eines Bibelbuches würde niemals etwas aussagen, was seiner Hauptbotschaft oder seinem Hauptanliegen widerspricht.