Entstehung-11: Die deutsche Bibel

Die Bibel – Entstehung und Überlieferung

Neil R. Lightfoot

 

Die bisherigen Lektionen haben uns gezeigt, dass die Texte, die wir heute haben, der hebräische des Alten Testamentes und der griechische des Neuen Testamentes, mit grosser Sicherheit dem Urtext entsprechen. In dieser Lektion muss nun noch etwas zu den deutschen Übersetzungen gesagt werden. Schon vor Martin Luther hat es eine Anzahl deutscher Übersetzungen, entweder der ganzen Bibel oder von Bibelteilen, gegeben.

Als ältestes Zeugnis deutscher Literaturgeschichte muss hier zunächst Wulfilas Bibel in gotischer Sprache (Codex Argentus) erwähnt werden. Sie entstand zwischen 350 und 380 n. Chr. Etwa um das Jahr 830 wurde die lateinische Evangeliumsharmonie des Codex Fuldensis ins Deutsche übertragen. Aus der Zeit um das Jahr 1000 findet sich ein lateinischer Psalter mit deutscher Übersetzung zwischen den Zeilen (Notker, St. Gallen).

Eine der ältesten Bibeln in deutscher Sprache ist die Augsburger Pergamenthandschrift des Neuen Testamentes aus dem Jahre 1350. Eine andere, durch ihre reiche Buchmalerei bekannte Bibel ist die Wenzelbibel. Sie stammt vom Ende des 14. Jahrhunderts und befindet sich in der Nationalbibliothek in Wien. Johann Mentelin, bischöflicher Schreiber zu Strassburg, gab 1466 die erste gedruckte deutsche Bibel heraus, die sogenannte Mentelbibel. Es gibt etwa 800 nachgewiesene Handschriften von Bibeln oder Bibelteilen in deutscher Sprache. Die meisten dieser Übersetzungen sind aber nicht nur sachlich ungenau, sondern auch in der Sprache unmöglich. Hier ein Vergleich zwischen dem Text des 23. Psalmes in der Mentelbibel und dem der Lutherbibel:

Der Herr der richt mich, und mir gebrase nit; und an der stat der weyde, do datzt er mich! Er führt mich ob dem wasser der wiederbringung. Er bekert mein sel. Er fürt mich aus auf die steig der gerechtigkeit: umb seinen namen. Wan ob ich ioch gee in mitzt dez schare des rods ich vöscht nit die ubeln dinge: wann da bist mit mir. Dein rüte: und dein stab sy selb habent mich getröst. Du hast bereyt den tisch in meine bescheude: wider die mich betrübent. Du hast es veystent mein heubt mit dem öl: un mein kelch der macht trunken mich wie lauter er ist. Und dei erbermbd die nachvolgt mir alle die tag meins lebens. Das auch ich entwele in dem haus des herrn in die leng der tag.

Der Herr ist mein Hirte, mir wirt nichts mangeln. Er weidet mich auff einer grünen awen. Und füret mich zum frischen wasser. Er erquicket meine seele er füret mich auff rechter strasse umb seines namens willen. Und ob ich schon wandert im finstern tal, förchte ich kein unglück. Denn du bist bey mir. Dein stecken und stab trösten mich. Du bereitest für mich einen tisch gegen meine feinde. Du salbest mein heubt mit öl und schenkest mir vol ein. Gutes und barmherzigkeit werden mir folgen mein leben lang. Und werde bleiben im hause des HERRN imer dar.

Als Martin Luther an die Übersetzung der Bibel ging, wusste er, dass er nicht nur eine Übersetzungsarbeit, sondern auch sprachschöpfersiche Arbeit zu leisten hatte. In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ schreibt Luther, dass er oft tage- und wochenlang nach einem Wort gesucht habe.

Für die Übersetzungsarbeit standen Luther neben der lateinischen Übersetzung des Gelehrten Hieronymus, der sogenannten Vulgata, auch das griechische Neue Testament des Humanisten Erasmus von Rotterdam zur Verfügung. Dieses Neue Testament wurde 1516 zum erstenmal gedruckt und erschien 1519 in einer zweiten Auflage bei Frobenius in Basel. Wie wir heute wissen, war diese griechische Ausgabe sehr mangelhaft. Die bedeutendsten Handschriften wurden ja erst in den letzten 100 Jahren entdeckt bzw. der Öffentlichkeit zugänglich. Auch den von Erasmus überarbeiteten Text der Vulgata benutzte Luther. Die Übersetzung des Neuen Testamentes besorgte er während seines Zwangsaufenthaltes auf der Wartburg nach dem Reichstag zu Worms. In der kurzen Zeit von Dezember 1521 bis März 1522 wurde die Übersetzung des Neuen Testamentes fertig, und nach gründlicher Durchsicht mit Melanchton erschien das Testament bereits im September 1522 im Buchhandel. Die erste Auflage von etwa 5000 Stück war bis Dezember 1522 bereits verkauft, und eine neue, an über 500 Stellen verbesserte, Auflage wurde bereits im Dezember desselben Jahres gedruckt. Luther selbst hat von 1522 bis 1533 siebzehn Ausgaben zusammengestellt und war ständig bemüht, sie zu verbessern.

Für die Übersetzung des Alten Testamentes benutzte Luther neben der Vulgata auch die erste, im Jahre 1488 in Soncino, Oberitalien, im Druck erschienene, hebräische Bibel. Die ersten fünf Bücher Moses wurden 1523 gedruckt. Das ganze Alte Testament wurde 1534 fertig, und im September desselben Jahres erschien die ganze Bibel. Sie war mit 116 Holzschnitten ausgestattet und wurde bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckt. Oscar Paret schreibt in seinem Buch „Die Überlieferung der Bibel“ über Luthers Schwierigkeiten und seine Leistung: „Die gewaltige Leistung Luthers versteht man erst recht, wenn man sich klarmacht, dass es beim Alten Testament galt, Geschichtswerke, Dichtungen und Lieder aus einer seit über 2000 Jahren nur im Kult benützten Sprache in lebendiges, unserem Empfinden angepasstes Deutsch zu übertragen. Die so überaus bildreiche, viel mit Vergleichen arbeitende orientalische Sprache sollte verdeutscht werden, ohne dass dabei der Sinn verändert wurde und die Eigenart des Urtextes verlorenging.“ Luther schreibt: „Wer deutsch reden will, der muss nicht die Weise der hebräischen Worte führen, sondern muss darauf sehen, wenn er den hebräischen Mann versteht, dass er den Sinn versteht, und denke: Lieber, wie redet der deutsche Mann in solchem Falle? Wenn er nun die deutschen Worte hat, die hiezu dienen, so lasse er die hebräischen Worte fahren und spreche frei den Sinn heraus aufs beste Deutsch, das er kann.“

Während Luther noch an seiner Bibelübersetzung arbeitete, erschienen verschiedene andere Übersetzungen von Teilen der Bibel. Aber mit Ausnahme der Übersetzung der Propheten durch die Täufer Ludwig Hätzer und Hans Denk war keine dieser Ausgaben bedeutend. Diese aber war sprachlich so gut, dass Luther einige Stellen davon benutzte.

Als Teilausgabe erschien die Zürcher Bibel erstmals 1524/25. Sie war damals im wesentlichen eine Lutherausgabe in Schweizerdeutsch. 1530 wurde die ganze Bibel herausgegeben.

Den Übersetzungen Luthers folgten bald viele andere, besonders auch von katholischer Seite. Manche dieser Übersetzungen nahmen einfach weitgehendst Luthers Übersetzung zur Vorlage und revidierten sie oft nicht zum Besseren. In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ greift Luther einen dieser „Übersetzer“, wahrscheinlich Hieronymus Emser (1487 - 1527), den Sekretär des Herzogs von Sachsen, scharf an. Der Herzog von Sachsen, ein Gegner Luthers, hatte den Verkauf des Luthertestamentes verboten. Emser brachte, wohl auf Betreiben des Herzogs, ein „eigenes“ Testament heraus, um so Luthers Übersetzung zu verdrängen. Aber Emsers Ausgabe war fast ausschliesslich eine korrigierte Lutherübersetzung.

1534 erschien in Mainz eine von Johann Dietenberger überarbeitete Bibelausgabe, die in der katholischen Bevölkerung eine weite Verbreitung bis in das 18. Jahrhundert erfuhr. Die meisten Übersetzungen konnten sich aber nicht durchsetzen, da sie zum grössten Teil weder sachlich noch sprachlich gut waren. Wie schon erwähnt, hat Luther selbst zu seiner Lebzeit immer wieder seine Übersetzungen revidiert, und zwar sowohl in Bezug auf die Genauigkeit der Übersetzung als auch auf die Sprache. Da ihm die wichtigsten Handschriften noch nicht zugänglich waren, blieben noch mancherlei Fehler in der Übersetzung. In diesem Jahrhundert nun hat die Lutherbibel bereits die vierte Revision erfahren, die erste 1912, dann 1921, dann Stufenweise das Alte Testament 1956/1964 und das Neue Testament 1975/1984. Einem Ausschuss von Theologen und Männern der Kirche obliegt die sicherlich schwierige Aufgabe, den Text der Bibel nach den neuesten Forschungsergebnissen zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Auch der Wandlung der Sprache und Rechtschreibung muss Rechnung getragen werden. Leider sind gewisse Fehler immer noch nicht ausgemerzt worden. So steht z. B. immer noch das Wort „Hölle“, wo eigentlich „Totenreich (Hades)“ stehen sollte (Matthäus 11,23; 16,18; Lukas 10,15; Offenbarung 1,18 und 6,8). Leider wurde dieser Fehler auch in der neusten Ausgabe übernommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Lutherübersetzung, die ohne Zweifel in ihrer Sprachgewalt und Schönheit ihresgleichen sucht, jene Revision erfährt, die der Urtext fordert.

Warum so viele Übersetzungen?

Es gibt heute etliche Übersetzungen in deutsch. Viele Menschen nehmen deshalb an, dass der biblische Text doch nicht exakt überliefert wurde. Die Gründe für diese vielen Übersetzungen sind aber ganz andere.

Wie wir schon gesehen haben, ist die Lutherübersetzung an manchen Stellen ungenau, und ihre alte Sprache wird von vielen heutige oft nicht recht verstanden. Einige aus diesem Grunde entstandenen protestantischen Übersetzungen sollen hier angeführt werden:

Elberfelder Übersetzung. Diese Übersetzung ist sehr textgenau, sie verzichtet aber zugunsten der Genauigkeit auf die Korrektheit und Schönheit der deutschen Sprache. Die erste Ausgabe erschien 1871, eine weitere 1962, 1974 wurde das Neue - und 1985 das Alte Testament revidiert.

Zürcher Übersetzung. Diese Ausgabe geht auf Zwingli, den Schweizer Reformator, zurück. Sie wurde in den Jahren 1907 bis 1931 nach dem Grundtext neu übersetzt und ist genauer als die Lutherübersetzung. Trotz der genauen Wiedergabe des Urtextes ist sie in gutem Deutsch geschrieben.

Übertragung von Bruns. Obwohl die moderne Übertragung von Pastor Bruns ein Bestseller auf dem Buchmarkt war, ist sie doch keine gute Übertragung, sondern an vielen Stellen eine tendenziöse Auslegung.

Da für den katholischen Bibelleser nur eine Bibel mit Imprimatur zulässig ist, wurden unter anderem folgende Übersetzungen herausgegeben:

Die Stuttgarter Keppler-Bibel. Sie hat besonders seit dem ersten Weltkrieg eine weite Ver­breitung gefunden.

Eine weitere katholische Übersetzung wurde vom Pattloch-Verlag, Aschaffenburg, veröffentlicht. Die Übersetzung besorgte Prof. Kürzinger, Prof. Hamp und Prof. Stenzel.

Die Allioli-Übersetzung (1. Ausgabe 1830 - 1832). Diese Übersetzung des Augsburger Bischofs Allioli wird heute ohne besondere Erklärungen der katholischen Kirche von verschiedenen Bibelanstalten gedruckt.

Alle diese vielen verschiedenen Übersetzungen stimmen in ihren wesentlichen Aussagen über die göttlichen Offenbarungen überein. Um das zu veranschaulichen, folgen hier ein paar Beispiele:

Johannes 3,5

Elberfelder: „Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“

Pattloch: „Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn einer nicht geboren wird aus Wasser und Geist, kann er nicht eingehen in das Reich Gottes.“

Keppler: „Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich ich sage dir: Wenn jemand nicht wiedergeboren ist aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“

Apostelgeschichte 2,38

Elberfelder: „Petrus aber sprach zu ihnen: Tut Busse, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Pattloch: „Petrus antwortete ihnen: Bekehret euch, und ein jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Keppler: „ Petrus sprach zu ihnen: Bekehret euch, und ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden. Dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Zusammenfassung

Schon vor Martin Luther hat es eine Anzahl deutscher Bibelübersetzungen gegeben, aber erst die Lutherübersetzung fand allgemeine Verbreitung. Durch die Auswertung neuerer Funde wurden bessere Übersetzungen möglich. Die Vielzahl der Übersetzungen stimmt in allen grundlegenden Wahrheiten und göttlichen Geboten überein.

 

Arbeitsblatt 11: Zum Einprägen

 

Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen anhand der Lektion und senden Sie das ausgefüllte Arbeitsblatt an die Kontaktadresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 

 

1. Nennen Sie eine der ältesten deutschen Bibelübersetzungen.


2. Wann wurde Luthers erstes Neues Testament gedruckt?


3. Welche Texte legte Luther seiner Übersetzung zugrunde?


4. Nennen Sie einige Gründe für die Vielzahl deutscher Übersetzungen. Können wir uns auf die Genauigkeit dieser Übersetzungen verlassen?


5. Fragen oder Anregungen?