Entstehung-12: „Meine Worte aber werden nicht vergehen”

Die Bibel – Entstehung und Überlieferung

Neil R. Lightfoot

 

Indem wir die Geschichte der Bibel durch die Jahrhunderte zurückverfolgten, haben wir die menschliche Seite des Weges gesehen, auf dem die Bibel bis auf uns sicher überliefert worden ist. Von einem anderen Standpunkt aus gesehen, beginnt und endet diese Geschichte mit Gott. Gott ist Licht, Quelle des Lichts. Am Ende führt uns dann die Frage nach der Entstehung und Überlieferung der Bibel zum Throne Gottes.

In Markus 13,31 sagt Jesus: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Jesus stellt hier zwei Dinge fest. Erstens sagt er, dass seine Worte göttlich sind: Die Welt wird vergehen, aber sein Wort wird nicht vergehen; seine Worte sind also nicht von dieser Welt. Zweitens, weil seine Worte göttlich sind, kann Jesus sagen, dass sie ewig bleiben werden.

„Meine Worte aber ...“

Die Behauptung, die Jesus hier aufstellt, dass seine Worte göttlich sind, ist die Behauptung, welche die Bibel als Ganzes für sich selbst in Anspruch nimmt. Der Apostel Paulus schrieb im 2 Timotheus 3,16-17: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurecht­weisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“ - Die Bezeichnung „Schrift“ bezieht sich hier ganz konkret auf die kanonischen Schriften des Alten Testamentes. Es war der Glaube des Apostels Paulus, dass die alttestamentlichen Schriften von Gott gekommen waren.

In einer ähnlichen Schriftstelle sagt ein anderer Apostel: „Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet“ (2 Petr 1,19-21). Die alttestamentlichen Schreiber, sagt Petrus, haben die Botschaft ihrer Bücher nicht erfunden oder erdichtet. Was jeder von ihnen sagte oder schrieb, war gemäss einem von aussen kommenden Einfluss: Sie redeten das Wort Gottes, wie der Heilige Geist es ihnen eingab. Jede dieser Schriftstellen bestätigt klar, dass das Alte Testament göttlichen Ursprungs ist.

Wenn die alttestamentlichen Propheten von Gott inspiriert waren, wäre es doch unverständlich, wenn die Männer des Neuen Testamentes, einschliesslich des Heilands und seiner Apostel, es nicht gleichermassen gewesen wären. Diese Folgerung ist logisch, denn das dürfen wir aufgrund der Inspiration im Alten Testament erwarten. Und das ist es auch, was wir tatsächlich finden. Der Herr vergleicht seine Lehren oft mit dem Gesetz Moses (Mat 5,27-48), wobei er den unvermeidlichen Eindruck hinterlässt, dass in ihm ein grösserer als Mose gekommen war. Seine auserwählten Apostel waren mit solcher Autorität ausgestattet, dass das, was sie auf Erden banden, auch im Himmel gebunden war (Matthäus 16,19). Von der Gemeinde in Korinth wurde erwartet, dass sie das, was ihnen der Apostel Paulus schrieb, als „Gebot des Herrn“ annehmen würden (1 Kor 14,37), und die ersten neutestamentlichen Gemeinden erkannten diese apostolische Autorität an. Sie nahmen die Worte der Apostel auf „nicht als Menschenwort ..., sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort ...“ (1 Thess 2,13).

Es könnte eingewendet werden, dass sich diese Beweisführung im Kreise dreht, dass Inspiration angenommen wird, um die Inspiration zu beweisen. Aber das stimmt nicht. Angenommen wird, dass die Männer, welche die Bibel schrieben, ehrenhafte Männer waren mit gesunden Sinnen. Wenn sie geistig normal und vernünftig waren, konnten sie nicht empfänglich sein für phantastische Visionen und Wahnvorstellungen; wenn sie ehrenhaft waren, können sie keine vorsätzlichen Betrüger gewesen sein.

Das Einzigartige der Bibel beruht auf ihrem einzigartigen Anspruch. Lassen wir die Bibel für sich selbst sprechen, so sagt sie uns, dass ihre Botschaft von Gott kommt. Diese Feststellung stammt von ehrenhaften, gerade denkenden Männern und verdient Beachtung. Die Behauptung ist nicht gleichgestellt mit der Wahrheit der Behauptung, sondern wird unterstützt durch den Inhalt der Bibel mit dem Thema unserer Errettung und den starken moralischen Bindungen. Die ethischen Prinzipien des Herrn sind entweder menschlich oder göttlich. Die Bibel sagt, dass sie göttlich sind, eine Behauptung, die im Hinblick auf ihren hohen moralischen Standard durchaus nicht unsinnig ist. Der Anspruch der Bibel und ihr Inhalt überzeugen gleichermassen von der göttlichen Inspiration.

„... werden nicht vergehen.“

Jesus verheisst seinen Worten ewigen Bestand. Die göttliche Vorsehung war durch die Jahrhunderte hindurch in vielerlei Hinsicht tätig, diese Verheissung zu erfüllen. Heute, im 21. Jahr­hundert, können wir sehr gut sehen, wie der Herr sein Wort bewahrte.

1. Die Menge des vorhandenen Materials über den biblischen Text. Die Zahl der Textdokumente einschliesslich Handschriften und Übersetzungen ist so gross, dass sie nicht zu berechnen ist. Bei vorsichtiger Schätzung kommt man mindestens auf 20’000. Von diesen sind, wie wir gesehen haben, allein etwa 4’500 Handschriften des Neuen Testamentes. Es ist interessant, diese Zahl mit der Zahl der Handschriften zu vergleichen, durch welche uns das griechische und römische Schriftgut erhalten wurde. Von der Geschichte des Thucydides z. B., die um etwa 400 v. Chr. geschrieben wurde, sind heute ganze acht Handschriften vorhanden, während die wenigen übriggebliebenen Bücher des römischen Geschichtsschreibers Tacitus (100 n. Chr.) anhand von nur zwei Handschriften bewiesen werden können. Die grosse klassischen Werke sind uns also nur durch eine Handvoll Dokumente übermittelt. Trotzdem zweifelt niemand den Text der Klassiker an. Wieviel weniger Grund zum Zweifel besteht dann in Bezug auf den biblischen Text? Wenn ein Buch des Altertums uns ohne wesentliche Verluste oder Änderungen überliefert wurde, dann ist es die Bibel. Die Bibel ist das bestbezeugte Buch des Altertums. Diese Tatsache veranlasste Sir Frederic Kenyon zu sagen: „Die Zahl der Handschriften des Neuen Testamentes, der Übersetzungen davon und der neutestamentlichen Zitate der ältesten christlichen Schreiber ist so gross, dass wir sicher sein können, den wahren Text jeder zweifelhaften Schriftstelle in irgendeiner der vielen alten Autoritäten zu haben. Das kann von keinem anderen Buch des Altertums gesagt werden“ (Sir Frederic Kenyon, Our Bible and the Ancient Manuscripts).

2. Die Qualität des vorhandenen Materials. Es gibt nicht nur reichliche Informationen über den biblischen Text, sondern die Informationen sind auch verlässlich. Die berühmten Codices Vaticanus und Sinaiticus entstanden nur zwei Jahrhunderte nach der apostolischen Zeit, und selbst diese zeitliche Lücke ist teilweise ausgefüllt durch die in jüngerer Zeit entdeckten Papyrusdokumente. Aber selbst wenn es keine Papyri gäbe, wäre der neutestamentliche Text immer noch weit besser bezeugt als die Klassiker. Die zwei Handschriften der Werke des Tacitus sind aus dem 9. und 11. Jahrhundert, und keine der Handschriften von Thucydides, mit Ausnahme einiger Fragmente, ist älter als 1'000 Jahre. Die Abschriften des Thucydides sind 1'300 Jahre jünger als das ursprüngliche Werk, trotzdem stellt niemand ihre Echtheit in Frage. Diese Beispiele aus den Klassikern sind keine Einzelfälle; tatsächlich ist der weitaus grösste Teil der Schriften des Altertums nur durch Handschriften späteren Datums erhalten. Im Gegensatz dazu beruht unser neutestamentlicher Text auf Handschriften, deren Entstehungsdatum dem der ursprünglichen Schrift sehr nahe ist. Der Text des Neuen Testamentes besitzt im Gegensatz zu anderen Büchern des Altertums einen einzigartig beneidenswerten Rang.

Schlusswort

Es ist tröstlich und beruhigend zu wissen, dass Jesu Worte durch die Jahrhunderte erhalten bleiben werden. Die Verheissung Jesu hat sich durch die Jahrhunderte als wahr erwiesen: „Alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ (1 Petr 1,24-25).

Das Wort Gottes ist für alle Deutschsprechenden in vielen Übersetzungen zugänglich. Einige Übersetzungen sind gut, andere weniger gut. Keine der bedeutenden Übersetzungen ist so schlecht und kein griechischer Text so falsch, dass er nicht zu dem Lamm Gottes hinführen könnte, das die Sünde der Welt getragen hat. Verbesserte Übersetzungen sollten dankbar benutzt werden. Welche Übersetzung auch jeder einzelne bevorzugt, wichtig ist, dass er sie benutzt. Dem modernen Menschen steht eine Vielzahl neuer Errungenschaften zur Verfügung. Ihr Vorhandensein an sich erleichtert jedoch sein Leben nicht, sondern er muss sie richtig gebrauchen, um Nutzen davon zu haben. Genauso ist es mit den neuen und besseren Hilfsmitteln im Bibelstudium; ihr blosses Vorhandensein ersetzt nicht den fleissigen Gebrauch. Die Bibel ist Gottes Wort. Darum ist es nicht gleichgültig, welches Verhältnis wir zu diesem Wort haben. Das göttliche Wort wird nicht nur bestehen, wenn alles andere vergeht, sondern wir werden auch durch diese Worte gerichtet werden (Joh 12,48). Darum wollen wir auf die göttliche Lehre achten und alle Menschenlehre verlassen, denn nur sein Wort ist ein lebendiges Wort. Möge Gott uns helfen, dass wir Menschen werden, die sein Wort recht gebrauchen zu unserem Nutzen und Heil.

 

Link:

- Auslegung der Bibel

Zusammenfassung der
Lektionen 1 - 12

 

Lektion 1

Für die Geschichte der Bibel waren drei Schreibmaterialien die wichtigsten: Leder, Papyrus und Pergament. Leder wurde grundsätzlich zur Zeit des Alten Testamentes benutzt, während die neutestamentlichen Bücher zweifellos ursprünglich auf Papyrus geschrieben wurden. Etwa um das vierte Jahrhundert n. Chr. wurde Papyrus durch Pergament ersetzt; fast alle neutestamentlichen Handschriften, die wir haben, sind daher Pergamenthandschriften.

Lektion 2

Unsere Bibel ist eine erstaunliche Sammlung von Büchern. Die verschiedenen Bücher waren oft unterschiedlich, aber logisch geordnet. Die ursprünglichen Sprachen der Bibel sind Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Das Neue Testament wurde in Griechisch geschrieben, das Alte Testament in Hebräisch, mit einzelnen Teilen in aramäischer Sprache.

Lektion 3

Es gibt zwei Arten von neutestamentlichen Handschriften, die Unziale und die Kursive. Die Kursivschrift ist eine flüssige Handschrift, während die Unzialschrift aus nebeneinander­stehenden Grossbuchstaben besteht. Die Unziale sind ältere und wichtigere Autoritäten des neutestamentlichen Textes. Die drei bekanntesten Unziale sind: der Codex Vaticanus, der Codex Sinaiticus und der Codex Alexandrinus.

Lektion 4

Zwei andere wichtige Handschriften sind der Codex Ephraemi und der Codex Bezae. Zusätzliche Hilfe in der Erkennung des ursprünglichen Bibeltextes erfahren wir durch viele alte Übersetzungen und Schriftzitate der Apostolischen Väter. So haben wir also drei Informations­quellen für den neutestamentlichen Text: 1. die Handschriften, 2. die Übersetzungen und 3. die Zitate der frühen christlichen Schreiber.

Lektion 5

Es war unvermeidlich, dass bei der Herstellung von Abschriften Fehler entstanden. Die Arbeit der Textforschung ist es, diese Fehler aus dem reinen Text auszumerzen. Ausgestattet mit einem Reichtum an Informationen und genauen Regeln folgend, kann der Textforscher diese Aufgabe in präziser Weise erfüllen.

Lektion 6

Die Textvarianten sind von verschiedener Art und Wichtigkeit. Die meisten sind offensichtliche Flüchtigkeitsfehler der Schreiber und stellen keinerlei Probleme dar. Andere haben keinen Einfluss auf unseren Text, da sie in den zuverlässigsten Handschriften nicht vorhanden sind. Einige sind wesentliche Veränderungen, von denen aber keine grundsätzliche biblische Lehre und kein göttliches Gebot berührt werden.

Lektion 7

Unser heutiger, neutestamentlicher Text ist ein rekonstruierter, griechischer Text. Diese Rekonstruktion ist zum grössten Teil die Leistung von Westcott und Hort. Manche lichtbrindgenden Entdeckungen sind in den letzten 80 Jahren gemacht worden; sie alle bestätigen den Westcott-Hort-Text. Neu zum Vorschein gekommenes Material gibt unserem Text immer noch mehr Sicherheit.

Lektion 8

Der Arbeit der Massoreten und anderer jüdischer Schreiber verdanken wir eine sorgfältig abgeschriebene Ausgabe des alttestamentlichen Textes. Die im März 1948 entdeckten Schrift­rollen in den Qumranhöhlen vom Toten Meer, vor allem die zwei Jesajarollen, bestätigen die Zuverlässigkeit unseres anerkannten alttestamentlichen Textes.

Lektion 9

Das Wort „Kanon“ bezieht sich auf solche Schriften, die in der Bibel als autoritative Schriften enthalten sind. Die einzelnen Bücher wurden dem Kanon nach und nach hinzugefügt. Es gibt eine Reihe klarer Beweise für die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit der einzelnen Bücher zum Kanon.

Lektion 10

Als „Apokryphen“ bezeichnet man im allgemeinen eine Gruppe von etwa 15 Büchern, die in einigen Bibeln im Alten Testament enthalten sind, in Wirklichkeit aber nicht zur Bibel gehören. Man kann viele stichhaltige Gründe gegen die Geltung dieser zweifelhaften Bücher als biblische Schriften anführen. Der Hauptgrund ist wohl der, dass sie im hebräischen Kanon des Alten Testamentes nie enthalten waren.

Lektion 11

Die ältesten deutschen Bibelübersetzungen stammen aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Luthers Übersetzung von 1522 brachte nicht nur eine allgemein verständliche Bibelausgabe, sondern half auch, das Wort Gottes weit zu verbreiten. Unsere neueren und teilweise genaueren Über­setzungen wurden möglich durch die grossen Handschriftenfunde des letzten Jahrhunderts.

Lektion 12

Jesus sagt im Markus 13,31: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Diese Behauptung beschränkt sich nicht nur auf Jesu Worte, sondern kann auf die ganze Bibel, als Worte Gottes, ausgedehnt werden! Heute, im 21. Jahrhundert, können wir sehr wohl erkennen, wie der allmächtige Gott sein Wort bewahrte. Selbstverständlich ist Gott in der Lage, sein Wort von Anfang an auf unvergänglichem Material selbst niederzuschreiben. Doch dann wären die Menschen durch all die Jahrhunderte nicht gezwungen gewesen, sich mit der Autorität der Bibel und seiner sicheren Überlieferung bis ins heutige Jahrhundert auseinanderzusetzen. Denn gerade die grosse Zahl der Abschriften, Übersetzungen und Zitate der ältesten christlichen Schreiber, zeugen von der unvergleichlichen Autorität der Bibel. Deshalb können auch wir in unserem Jahrhundert noch die volle Gewissheit haben, Gottes unvergängliches Wort in unverfälschter Überlieferung zu besitzen!