Begriffe1-19: Katartizein – christliche Gemeindezucht

Griechische Begriffe 1

19.  Katartizein = Zurechthelfen

von William Barclay

 

Das praktische Interesse an dem Wort katartizein liegt in der Tatsache begründet, dass es in Gal 6,1 benutzt wird, um einem Bruder wieder zurecht zu helfen, der von einem Fehler übereilt wurde (Luther).

Im klassischen Griechisch gab es für katartizein verschiedene Anwendungsmöglichkeiten, die wir hier unter zwei Bedeutungen zusammenfassen können. Erstens heisst es anpassen, in Ordnung bringen, wiederherstellen. In dieser Weise wird es gebraucht, um eine Stadt zu befrieden, die durch Zwietracht und Parteigezänk zerrissen war. Man drückt damit aus, dass ein verrenktes Glied wieder eingerenkt wird, dass bestimmte Körperteile durch Übung entwickelt werden, dass jemand wieder zu vollem Verstand kommt. Es wird auch benutzt für die Versöhnung von Freunden, die einander entfremdet waren. Zweitens kann es bedeuten, jemand oder etwas für einen bestimmten Zweck voll auszurüsten oder auszustatten. So z. B. um ein Schiff auszustatten, eine Armee voll auszurüsten und in Gefechtsstellung zu bringen. Der Gebrauch des Wortes in den Papyri erhellt uns seine Bedeutung nicht wesentlich. Es wird auch dort benutzt, um etwas für einen bestimmten Zweck vorzubereiten; z. B. um Kleider für eine bestimmte Person anzufertigen.

Im NT kommt es etwa dreizehnmal vor, davon zweimal in Zitaten des Alten Testaments (Mt 21,16; Hebr 10,5). Die drei wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten sind:
1. In Mt 4,21 und Mk 1,19 wird es für das Flicken der Netze gebraucht. Diese Stelle könnte auch bedeuten, dass die Jünger die Netze zusammenfalteten. Aber ob es nun zusammenfalten oder flicken bedeutet, so heisst es auf jeden Fall, dass sie die Netze für den nächsten Gebrauch zurechtmachten.

2. Es gibt eine Reihe von Stellen, in denen die Grundbedeutung des Wortes Ausrüstung, Ausstattung ist. In Lk 6,40 wird gesagt, dass ein Schüler nicht besser ausgerüstet sein kann mit Wissen als sein Lehrer. Römer 9,22 spricht von den Gefässen des Zorns, die zur Verdammnis bereitet sind.

3. In anderen Schriftstellen hat es die Bedeutung von zurecht bringen, in Ordnung bringen. So sagt Luther in 2. Korinther 13,11: lasset euch zurecht bringen (Zürcher: wie Luther, Pattloch: werdet vollkommen). 1. Thessalonicher 3,10 Luther: zurecht bringen, Zürcher: den Mängeln abhelfen, Pattloch: in Ordnung bringen. Hebräer 13,21, Luther: tüchtig machen, Zürcher: wie Luther, Pattloch: befähigen. 1. Petrus 5,10 Luther: vollbereiten, Zürcher: bereiten, Pattloch: aufrichten.

4. In 1. Korinther 1,10 heisst es in der Lutherbibel: aneinander festhalten (Zürcher: zusammen-halten, Pattloch: wohlgeordnet sein). Hier wird es gebraucht, um die uneinigen Glieder der Gemeinde in Korinth zum Zusammenhalt zu ermahnen. In dieser Stelle könnte der Gedanke enthalten sein, verrenkte oder gebrochene Gliedmassen wieder zurecht zu rücken, oder auch die kämpfenden Parteien in einer zerrissenen Stadt zu beruhigen.

Wenn wir nun diese Gedanken auf die Gemeindezucht anwenden, ergeben sich sehr bedeutungsvolle Gesichtspunkte.
1. Es ist klar, dass mit Gemeindezucht nicht Vergeltung gemeint ist; sie ist keine Rache am Übeltäter.

2. Das Ziel des Züchtigens ist, einen Menschen wieder zurecht zu bringen.

Gemeindezucht im rechten Sinne sieht in einem gefallenen Christen nicht so sehr den vorsätzlichen Sünder, sondern vielmehr einen geschädigten, verblendeten Menschen.

3. Solche Zucht will ihn besser mit der Waffenrüstung des Geistes vertraut machen, damit er die Versuchungen überwinden und den Kampf des Glaubens bestehen kann. Sie betrachtet ihn als einen kranken, ungenügend ausgerüsteten Menschen. Von der christlichen Gemeinde wird erwartet, einen solchen Menschen zur Überwindung dessen anzuleiten, was ihn zu Fall brachte. Das setzt natürlich voraus, dass er sich helfen lassen will.

4. Es liegt ferner im Wesen des Wortes katartizein, den Schuldigen als einen ungenügend gefestigten Menschen zu betrachten. Das Wort fordert die christliche Gemeinschaft auf, ihm eine bessere Kenntnis und grössere Kraft zur Überwindung des Bösen zu vermitteln.

Zusammenfassend können wir sagen, dass Zucht in einer christlichen Gemeinde nichts mit Rache, Vergeltung und Sadismus zu tun hat. Sie muss immer aufbauend sein. Sie wird geübt, um einem irrenden Menschen zu helfen, die Versuchungen besser zu überwinden.