Begriffe1-20: Koinonia – die Gemeinschaft der Christen

Griechische Begriffe 1

20.  Koinonia = Gemeinschaft

von William Barclay

 

Im NT gibt es eine Reihe von Wörtern, denen der Gedanke der Gemeinschaft zugrunde liegt. Da haben wir das Wort koinonia, das im klassischen Griechisch Vereinigung, Verbindung, Teilhaberschaft bedeutet. Platon spricht von der koinonia von Frauen und Männern zum Zweck der gemeinsamen Erziehung. Menschliche koinonia ist der griechische Ausdruck für die menschliche Gesellschaft. Im späteren Griechisch wird koinonia im Gegensatz zu pleonexia - Habgier gebraucht. Koinonia bezeichnet grosszügiges Teilen im Gegensatz zu selbstsüchtigem Nehmen. In der zeitgenössischen Umgangssprache hatte koinonia drei verschiedene Bedeutungen. 1) bezeichnet es allgemein eine Geschäftspartnerschaft. In einer Papyrusschrift spricht ein Mann von seinem Bruder, „mit dem ich keine koinonia, keine geschäftliche Verbindung habe.“ 2) Vor allem wird es für Heirat gebraucht. Zwei Menschen heiraten, um „koinonia im Leben zu haben“, also um ein Leben miteinander zu führen, in dem sie alles teilen. 3) Es wird auch für die Gemeinschaft der Menschen mit Gott gebraucht. Epiktet sagt, dass Religion „die Gemeinschaft mit Zeus zum Ziel hat.“ Im nichtreligiösen Griechisch wird koinonia gebraucht, um eine enge, ja die engste Gemein¬schaft auszudrücken, die Menschen eingehen können.

Im NT kommt koinonia etwa achtzehnmal vor. Wenn wir uns die Verbindungen ansehen, in denen es gebraucht wird, so können wir feststellen, wie weitreichend die Gemeinschaft ist, die das Leben der Christen charakterisieren sollte.
1. Es gibt im christlichen Leben eine koinonia, die Freundschaft bedeutet und ein Verbleiben in der Gesellschaft anderer (Apg 2,42; 2 Kor 6,14). Es ist sehr interessant zu erfahren, dass diese Freundschaft auf gemeinsame Erkenntnisse der Christen gegründet ist (1 Joh 1,3). Nur diejenigen, die Freunde Christi sind, können in Wirklichkeit auch Freunde untereinander sein.

2. Eine andere Bedeutung von koinonia im Leben der Christen ist ein ganz praktisches Teilen mit denen, die weniger begünstigt sind. Paulus benutzt das Wort dreimal in Verbindung mit den Sammlungen, die er zugunsten der armen Christen in Jerusalem durchführte (Röm 15,26; 2 Kor 8,4; 9,13; vgl. Hebr 13,16). Die Gemeinschaft der Christen ist also eine ganz praktische Angelegenheit.

3. Im Leben der Christen gibt es eine koinonia, die Partnerschaft in dem Werk Christi bedeutet (Phil 1,5). Der Apostel Paulus dankt den Philippern für ihre Mithilfe in der Arbeit des Evangeliums.

4. Es gibt eine koinonia im Glauben. Der Christ ist nie isoliert, er steht nicht alleine; er ist ein Teil einer Glaubensgemeinschaft (Eph 3,9).

5. Christen haben Gemeinschaft - koinonia im Geist (2 Kor 13,13; Phil 2,1).

Der Christ lebt in der Gegenwart und in der Gemeinschaft des Geistes; er geniesst die Hilfe und Führung des Geistes.

6. Im Leben der Christen gibt es eine koinonia mit Christus. Die Christen sind zur Gemeinschaft mit Christus, dem Sohne Gottes, gerufen (1 Kor 1,9). Diese Gemeinschaft findet ihren Höhepunkt im Abendmahl (1 Kor 10,16). Das Brot und der Kelch sind engste koinonia mit dem Leib und dem Blut Christi. In dem Abendmahl finden die Christen Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Diese Gemeinschaft mit Christus bringt Gemeinschaft mit seinen Leiden (Phil 3,10). In allem Leiden hat der Christ die Freude der Gewissheit, dass er mit Christus verbunden ist.

7. Im Leben der Christen ist koinonia mit Gott (1 Joh 1,3). Hier müssen wir bemerken, dass diese Gemeinschaft an sittliche Bedingungen gebunden ist; sie wird denen nicht zuteil, die den Weg der Finsternis gewählt haben (1 Joh 1,6). Die christliche koinonia ist das Band, das die Christen untereinander verbindet und das sie gleichzeitig an Gott und Christus bindet.

In dieser Wortgruppe gibt es noch zwei andere bedeutende neutestamentliche Wörter, die wir beachten sollten. Das erste ist das Verb koinonein, das im klassischen Griechisch bedeutet: Teil an etwas haben. Es wird z. B. gebraucht für zwei Menschen, die alle Dinge gemeinsam besitzen. Es kann bedeuten mit jemand Geschäftsverbindungen zu unterhalten. Es kann heissen eine Ansicht mit jemand zu teilen, also gleicher Meinung mit ihm zu sein. Im zeitgenössischen Griechisch der Papyri finden wir drei wesentliche Bedeutungen. 1) drückt es eine gemeinsame Tat aus. Wenn z. B. ein Verbrechen nicht aufgeklärt werden kann, nehmen die Gesetzeshüter an, dass die Mitwisser (die an der Tat teilhaben) den Täter decken. 2) Es wird gebraucht für das Teilhaben an allgemeinen Gütern, so z. B. für den Anteil aller Menschen an der menschlichen Natur. 3) Es bezeichnet eine praktische Lebensgemeinschaft. So widmete ein Arzt seiner Mitarbeiterin eine Gedenktafel, auf die er schrieb: „Ich habe mein Leben mit Dir geteilt.“

Wenn wir uns dem NT zuwenden, fällt uns wieder auf, wie umfassend dieses Teilhaben im christlichen Sinne ist.
1. Alle Menschen haben gleicherweise Fleisch und Blut (Hebr 2,14). Hier besteht eine Gemeinschaft einfach schon auf der Basis des allgemeinen Menschsseins.

2. Die Christen teilen ihre materiellen Güter miteinander (Röm 12,13; 15,27; Gal 6,6). Es ist interessant zu sehen, dass die Hälfte der Stellen im NT, in denen koinonein vorkommt, von dieser praktischen Seite reden. Kein Christ kann im Überfluss leben, während seine Brüder darben.

3. Es wird gebraucht für das Teilhaben an den Taten anderer (1 Tim 5,22). Wir sind untereinander Partner und wir sind Partner Gottes.

4. Es wird benutzt für gemeinsame Erfahrungen (1 Petr 4,13). Indem der Mensch für seinen Glauben leidet, teilt er die Erfahrungen Christi.

Koinenos bedeutet im klassischen Griechisch Gefährte, Partner, Teilhaber. In den Papyri gewann es die allgemeine Bedeutung von Geschäftspartner. Z. B. beteiligt ein gewisser Hermes einen Kornelius als seinen koinonos an einem Fischteich bis zu einem Sechstel des Gesamtwertes. Ein Vater klagt seinem Sohn, dass ihr koinonos seinen Anteil an der Arbeit nicht leistet. Hier dürfen wir nicht vergessen, dass im zeitgenössischen, nichtreligiösen Griechisch das Wort fast nur in geschäftlicher Beziehung gebraucht wurde.
Im NT kommt koinonos zehnmal vor.

1. bezeichnet es einen Menschen, der an einem Unternehmen, einer Handlung oder an einer Handlungsweise teilnimmt. Die Pharisäer behaupten, dass sie sich der Prophetenmorde ihrer Väter nicht teilhaftig gemacht hätten (Mt 23,30; vgl. 1 Kor 10,18.20).

2. wird es im Sinne von Partner gebraucht. Jakobus und Johannes waren des Petrus koinonoi beim Fischen (Lk 5,10). Paulus bezeichnet Titus als seinen koinonos und synergos, als seinen Partner und Mitarbeiter (2 Kor 8,23). Als der Apostel Paulus bei Onesimus für Philemon bittet, nennt er letzteren seinen koinonos (Philemon 17). Der Christ sieht alle Mitchristen ganz selbstverständlich als seine Partner in der grossen Arbeit des Herrn an.

3. Es wird gebraucht für Menschen, die an gleichen Erfahrungen teilhaben (2 Kor 1,7; Hebr 10,33). Es gibt nichts, was nur uns zustösst; andere machen die gleichen Erfahrungen, und auch Christus erlebte dieselben Dinge. Zwischen Christus und den Menschen herrscht das Mitgefühl, das durch gleiche Erfahrungen entsteht. Auch das Verhältnis der Menschen untereinander sollte von diesem Mitgefühl bestimmt sein.

4. Einmal wird das Wort gebraucht, um zu sagen, dass der Christ der göttlichen Natur teilhaftig geworden ist (2 Petr 1,4). Wir haben nicht nur teil an den Dingen dieser Erde, sondern auch an der Herrlichkeit des Himmels.

Christen sind Menschen wie alle anderen, sie erfahren Freude und Leid wie ihre Mitmenschen, aber sie sind der göttlichen Natur teilhaftig geworden und werden an der künftigen Herrlichkeit teilhaben. In seinem ganzen Leben soll der Christ alles, was er hat, mit anderen teilen, denn er weiss, dass sein Reichtum in dem liegt, was er anderen schenkt.