Begriffe1-01: Agape, Agapan – die grösste Tugend

Griechische Begriffe 1

1.  Agape = göttliche Liebe

von William Barclay

 

Griechisch ist eine der reichsten aller Sprachen und besitzt eine unvergleichliche Ausdruckskraft. Im Griechischen hat man daher oft eine ganze Reihe von Wörtern zur Verfügung, die Nuancen eines Begriffes zum Ausdruck zu bringen, für die es in der deutschen Sprache nur ein Wort gibt. So haben wir in unserer Sprache nur ein einziges Wort für alle Arten von Liebe. Im Griechischen dagegen gibt es nicht weniger als vier. Agape heisst Liebe und agapan ist das Verb lieben. Liebe ist die grösste aller Tugenden, die charakteristische Tugend des Christenglaubens. Wir tun deshalb gut daran, ihre ganze Bedeutung zu ergründen. Am besten beginnen wir damit, die Worte agape und agapan mit den anderen griechischen Wörtern für Liebe zu vergleichen, damit wir ihren besonderen Sinn und Charakter kennen lernen.

1. Das Substantiv eros und das Verb eran werden hauptsächlich für die gegenseitige Liebe der Geschlechter gebraucht. Sie können auch leidenschaftlichen Ehrgeiz und gesteigerten Patriotismus ausdrücken, aber charakteristisch sind diese Worte für körperliche Liebe. Gregor von Nazianz definiert eros als das heisse und unstillbare Verlangen. Araspas und Cyrus diskutieren über die verschiedenen Arten von Liebe, und Araspas sagt: „Ein Bruder verliebt sich nicht in seine Schwester, aber jemand anderes wird sich in sie verlieben; ebensowenig verliebt sich ein Vater in seine Tochter, sondern jemand anders wird es tun, denn die Furcht Gottes und das Gesetz des Landes genügen, um solche Liebe (eros) zu verhindern“ (Xenophon, Cyropädie).

In erster Linie werden diese beiden Wörter mit geschlechtlicher Liebe in Verbindung gebracht. In der deutschen Sprache kann das Wort Geliebter eine abwertende Bedeutung haben. Ebenso war im Griechischen die Bedeutung der Wörter eros und eran entartet, sie waren Ausdruck niedriger Gefühle. Aus diesem Grunde gab es für diese Wörter keine Verwendung im Sprachschatz des christlichen Glaubens und im NT erscheinen sie überhaupt nicht.

2. Das Substantiv storge und das Verb stergein bezeichnen hauptsächlich Zuneigung in der Familie. Sie können auch die Liebe eines Volkes für seinen Herrscher ausdrücken, aber gewöhnlich bezeichnen sie die gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Platon schreibt: „Ein Kind liebt stergein seine Eltern und wird von ihnen geliebt“ (Gesetze 754). Ein verwandtes Wort kommt oft in Testamenten vor. Z. B. wird einem Familienglied ein Vermächtnis hinterlassen kata philostorgian - „wegen meiner Zuneigung, die ich für dich habe.“ Diese Wörter kommen im NT nicht vor, nur ein verwandtes Adjektiv erscheint einmal. Paulus gebraucht das Adjektiv philostorgos in seinem Kapitel über christliche Ethik, in Römer 12,10 (deutsche Übersetzung herzlich). Der Schreiber deutet damit an, dass die christliche Gemeinschaft keine Gesellschaft ist, sondern eine Familie.

3. Die gebräuchlichsten Wörter für Liebe in der griechischen Sprache sind das Substantiv philia und das Verb philein. Es liegt eine herzliche Wärme in diesen Wörtern. Sie bedeuten, jemandem seine liebevolle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie können für die Freundesliebe und für die Liebe der Ehegatten gebraucht werden. Philein wird am besten mit wertschätzen, zärtlich lieben übersetzt: das schliesst die körperliche Liebe ein, enthält aber ausserdem noch weit mehr. Manchmal kann es sogar küssen bedeuten. Diese Worte bergen alle Wärme wirklicher Zuneigung und wirklicher Liebe in sich. Im NT bezeichnet philein die Liebe von Vater und Mutter und Sohn und Tochter (Mt 10,37). Es bezeichnet die Liebe Jesu zu Lazarus (Joh 11,3.36) und einmal die Liebe Jesu zu seinem Lieblingsjünger (Joh 20,2). Philia und philein sind besonders passende Wörter, um eine schöne menschliche Beziehung zum Ausdruck zu bringen.

4. Die weitaus gebräuchlichsten neutestamentlichen Wörter für Liebe sind das Substantiv agape und das Verb agapan. Wir wollen uns erst mit dem Substantiv befassen. Agape ist durchaus kein klassisches Wort. Es ist zweifelhaft, ob es in der klassischen Literatur überhaupt ein Beispiel dafür gibt. In der Septuaginta wird es vierzehnmal für geschlechtliche Liebe gebraucht (z. B. in Jeremia 2,2) und zweimal (z. B. in Prediger 9,1) im Gegensatz zu misos (Hass). Hier ist agape noch kein sehr wichtiges Wort, es lassen sich aber schon Anzeichen seiner späteren Bedeutung erkennen. Das Buch der Weisheit (apokryphes Buch) gebraucht es für die Liebe zu Gott (Weisheit 3,9) und für die Liebe zur Weisheit (6,18). Der Brief des Aristeas sagt (229) von der Schönheit, dass Frömmigkeit im engen Zusammenhang mit Schönheit steht, denn sie ist „die überragende Form der Schönheit, und ihre Kraft liegt in der Liebe - agape, die ein Geschenk Gottes ist.“ Philo gebraucht das Wort agape einmal in seinem edleren Sinn. Er sagt, dass phobos - Furcht und agape - Liebe verwandte Gefühle sind und dass beide das Verhältnis des Menschen zu Gott bestimmen. Aber vor Christus können wir nur selten in der Literatur vereinzelte Anwendungen dieses Wortes agape finden, das zum Schlüsselwort der christlichen Ethik werden sollte.

Wollen wir uns nun dem Verb agapan zuwenden. Es kommt im klassischen Griechisch öfter als das Substantiv vor, ist aber auch nicht sehr gebräuchlich. Es kann die Bedeutung von liebevollem Begrüssen haben. Es kann die Liebe zum Geld und zu Edelsteinen bezeichnen. Es kann ausdrücken, dass man mit etwas, mit einer Situation zufrieden ist. Einmal wird es sogar gebraucht, um zu beschreiben, wie eine Dame der grossen Gesellschaft ihren Schosshund liebkost (Plutarch, Perikles 1). Aber der bedeutende Unterschied zwischen philein und agapan im klassischen Griechisch ist, dass agapan nichts von der Wärme ausstrahlt, die für philein charakteristisch ist. Dafür gibt es ein gutes Beispiel. Dio Cassius berichtet die berühmte Rede des Antonius über Caesar, er sagt (44.48): „Du liebtest - philein ihn wie einen Vater, und du hast ihn geachtet - agapan wie einen Gönner.“ Philein beschreibt die herzliche Liebe, die man für einen Vater empfindet und agapan die dankbare Zuneigung für einen Gönner.

Man kann nun aber nicht sagen, das NT benutze nur die Worte agape und agapan, um die christliche Liebe zum Ausdruck zu bringen. Einige Male wird auch philein gebraucht, so zum Beispiel für die Liebe des Vaters zu dem Sohn (Joh 5,20), für die Liebe Gottes zu den Menschen (Joh 16,27) und für die Hingabe, mit welcher der Mensch Christus begegnen sollte (1 Kor 16,22). Philein kommt aber verhältnismässig selten im NT vor, während agape fast 120mal erscheint und agapan mehr als 130mal. Bevor wir ihren Gebrauch im einzelnen untersuchen, ist einiges zu diesen Wörtern und zu ihrer Bedeutung zu sagen. Wir müssen uns fragen, warum der christliche Sprachgebrauch auf die anderen griechischen Wörter für Liebe verzichtet und sich gerade auf diese Ausdrücke konzentriert.

Alle anderen Wörter hatten gewisse Färbungen angenommen, die sie ungeeignet machten. Eros rief ganz eindeutige Gedankenverbindungen mit der niedrigen Seite der Liebe hervor; es hatte viel mehr mit Leidenschaft als mit Liebe zu tun. Storge war ganz klar mit familiärer Zuneigung verbunden, es hatte nie die Weitherzigkeit der christlichen Liebe. Philia war ein liebliches Wort, aber es war unzweideutig ein Wort der Sympathie, der engen Verbundenheit, der Zuneigung und der Herzlichkeit. Es konnte nur für die Nächsten und Liebsten gebraucht werden, aber das Christentum brauchte ein viel umfassenderes Wort. Die Gedanken der Christen blieben bei diesem Wort agape, weil es als einziges mit der wahren Bedeutung erfüllt werden konnte.

Die Wahl des Wortes agape ist darin begründet, dass agape den ganzen Menschen fordert. Die christliche Liebe darf sich nicht nur auf die Nächsten und Liebsten erstrecken, auf Verwandtschaft und Freunde und solche, die uns lieben. Christliche Liebe muss sich zur Gemeinschaft der Christen untereinander entfalten, muss sich ausdehnen auf den Nächsten, auf den Feind, auf die ganze Menschheit.

Gewöhnlich bezeichnen die Wörter für Liebe ein Gefühl; sie haben etwas mit dem Herzen zu tun. Sie sind Ausdruck einer ungewollten und gewissermassen unvermeidlichen Erfahrung. Die Liebe zu unseren Verwandten und Freunden kommt ganz von selbst. Wir reden davon, dass wir in jemand verliebt sind. Diese Art Liebe ist keine Errungenschaft; es ist etwas, was ohne unser Zutun geschieht. Verliebt sein erfordert keine besondere Tugend. Es ist etwas, was wenig oder nichts mit bewusstem Handeln zu tun hat, es geschieht einfach.

Agape ist jedoch weit mehr! Agape hat etwas mit der Gesinnung zu tun; sie ist nicht einfach ein Gefühl, das ungebeten in unserem Herzen aufsteigt, sie ist ein Prinzip, nach dem wir bewusst leben. Agape hat entscheidend mit dem Willen zu tun. Sie ist eine Unterwerfung, ein Sieg, eine Errungenschaft. Niemand hat je natürlicherweise seine Feinde geliebt, sondern dazu bedarf es der Überwindung all unserer natürlichen Neigungen und Gefühle. Diese christliche Agape-Liebe ist nicht eine nur gefühlsmässige Erfahrung, die wir ungewollt und ungesucht machen, sondern ein wohlüberlegtes Prinzip des Verstandes und eine bewusste Errungenschaft des Willens. Sie ist in Wirklichkeit die Kraft, den unliebenswürdigen und unsympathischen Menschen zu lieben. Das Christentum verlangt nicht von uns, dass wir unsere Feinde und darüber hinaus alle Menschen in der gleichen Weise lieben, wie wir unsere Nächsten und Liebsten lieben. Das wäre unmöglich und auch falsch. Aber es verlangt von uns, dass wir jederzeit eine bestimmte Geisteshaltung und Willensrichtung gegenüber allen Menschen haben, ganz gleich wer sie sind.

Was ist also die Bedeutung dieses Wortes agape? Die hervorragendste Schriftstelle zur Erklärung von agape ist Matthäus 5,43-48, wo uns geboten wird, unsere Feinde zu lieben. Warum sollen wir das? Weil wir wie Gott sein sollen. Und was ist die kennzeichnende Tat Gottes, die hier angeführt wird, Gott lässt regnen über Gerechte und Ungerechte, über Böse und Gute. Das heisst, ganz gleich wie ein Mensch ist, ob Heiliger oder Sünder, Gott hat immer sein Bestes im Sinn. Das ist genau das, was agape bedeutet. Agape ist die Einstellung, die sagt: „Ganz gleich, was ein Mensch mir tut, ich will ihm nie Schaden zufügen, ich will mich nie rächen, ich will immer nur sein Bestes im Sinn haben.“ Christliche Liebe agape ist daher unüberwindliches Wohlwollen, unbesiegbarer guter Wille. Sie ist keine Gefühlsaufwallung, sondern eine wohlüberlegte Überzeugung und bewusste Lebenshaltung. Sie ist eine bewusste Errungenschaft, eine Eroberung und ein Sieg des Willens. Sie erfordert den ganzen Menschen, nicht nur sein Herz, sondern ebenso seinen Verstand und seinen Willen. Wenn dem so ist, müssen wir zwei Dinge hier beachten.

1. Menschliche agape, unsere Liebe zu unseren Mitmenschen, kann nur ein Produkt des Geistes sein. Das NT sagt das ganz klar in Galater 5,22, Römer 15,30 und in Kolosser 1,8. Christliche agape ist für den natürlichen Menschen unmöglich. Ein Mensch kann dieses allumfassende Wohlwollen nur üben, wenn der Heilige Geist von ihm Besitz ergreift und die Liebe Gottes in sein Herz ausgiesst; nur so kann er gereinigt werden von menschlichem Hass und Bitterkeit und allen natürlichen Reaktionen auf Feindschaft, Unrecht und Abneigung. Christliche agape ist für jeden unmöglich, der nicht Christ ist. Er mag das Wünschenswerte der christlichen Ethik sehr wohl begreifen, er mag erkennen, dass darin die Lösung aller Probleme dieser Welt liegt; rein verstandesmässig mag er es annehmen, aber praktisch ausleben kann er es nicht, bevor Christus in ihm lebt.

2. Wenn wir den Sinn von agape begreifen, können wir auch dem Einwand begegnen, eine Gesellschaftsordnung nach diesem Grundsatz wäre ein Paradies für Verbrecher, in dem jeder Bösewicht nach Belieben handeln könne. Wenn wir wirklich das Beste eines Menschen suchen, müssen wir ihm unter Umständen widerstehen, ja ihn vielleicht strafen; wir müssen vielleicht sehr hart mit ihm sein, um seiner Seele willen. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass wir nie aus Rache strafen können, nicht einmal aus blosser Vergeltung, vielmehr muss es immer in vergebender Liebe geschehen, die nicht die Bestrafung des Menschen und noch viel weniger seine Vernichtung sucht, sondern nur sein Bestes. In anderen Worten, agape bedeutet, die Menschen so zu behandeln, wie Gott sie behandelt und das heisst nicht, sie ungehindert tun zu lassen, was sie wollen.

Wenn wir das NT lesen, so finden wir die Liebe als Grundlage jeder vollkommenen Gemein-schaft im Himmel und auf Erden.
1. Liebe ist die Grundlage des Verhältnisses zwischen dem Vater und dem Sohn, zwischen Gott und Jesus. Jesus spricht von „der Liebe, mit der du mich geliebt hast“ (Joh. 17,26). Er ist Gottes „lieber Sohn“ (KoI. 1,13; Joh, 3,35; 10,17; 15,9; 17,23-24).

2. Liebe bestimmt das Verhältnis vom Sohn zum Vater. An dem ganzen Erdenleben Jesu kann die Welt erkennen, dass er den Vater liebt (Joh. 14,31).

3. Liebe ist die Einstellung Gottes gegenüber den Menschen (Joh, 3,16; Röm. 8,37; 5,8; Eph. 2,4; 2. Kor. 13,14; 1. Joh. 3,1.16; 4,9-10). Manchmal wird das Christentum so dargestellt, als ob es das Werk eines freundlichen, liebenden Jesu war, einen strengen und zornigen Gott zu besänftigen, als ob Jesus etwas getan hätte, was die Einstellung Gottes gegenüber den Menschen änderte. Das NT weiss davon nichts. Der ganze Heilsablauf begann, weil Gott die Menschen so liebte.

4. Es ist des Menschen Pflicht, Gott zu lieben (Mt. 22,37; Mk. 12,30; Lk. 10,27; Röm. 8,28; 1. Kor. 2,9; 2. Tim. 4,8; 1. Joh. 4,19). Es geht im Christenglauben nicht darum, dass sich der Mensch endlich der Macht Gottes unterwirft, sondern dass er endlich von der Liebe Gottes überwältigt wird. Nicht der Wille des Menschen wird gebrochen, sein Herz wird überwunden.

5. Die bewegende Kraft im Leben Jesu war seine Liebe zu den Menschen (Gal. 2,20; Eph. 5,2; 2. Thess. 2,16; Offb. 1,5; Joh. 15,9). Jesus liebt die Menschen wahrhaftig!

6. Das Wesen des christlichen Glaubens ist die Liebe zu Jesus (Eph. 6:24; 1. Pet. 1,8; Joh. 21,15-16). So wie Jesus uns tatsächlich liebt, sollen auch wir ihn lieben.

7. Das Merkmal des christlichen Lebens ist die Liebe der Christen untereinander (Joh. 13,34; 15,12.17; 1. Pet. 1,22; 1. Joh. 3,11.23; 4,7). Christen sind Leute, die Jesus lieben und sich untereinander lieben. Die Grundlage jeder echten Gemeinschaft im Himmel, sowohl wie auf Erden, ist Liebe. Jedes echte Verhältnis zueinander, ob zu Gott oder zu Menschen, ist auf Liebe gegründet.

Das NT hat uns viel über die Liebe Gottes zu den Menschen zu sagen.
1. Liebe ist das Wesen Gottes schlechthin. Gott ist Liebe (1. Joh. 4,7-8; 2. Kor. 13,11).

2. Gottes Liebe ist allumfassend. Gott liebte nicht nur ein auserwähltes Volk, Gott hat die ganze Welt geliebt (Joh. 3,16).

3. Gottes Liebe ist eine opfernde Liebe. Der Beweis seiner Liebe ist die Hingabe seines Sohnes für die Menschen (1. Joh. 4,9-10; Joh. 3,16). Die Garantie für die Liebe Jesu ist, dass er sich selbst für uns gab (Gal. 2,20; Eph. 5,2; Offb. 1,5).

4. Gottes Liebe ist eine unverdiente Liebe. Gott hat uns geliebt und Jesus starb für uns als wir Sünder und Feinde waren (Röm. 5,8; 1. Joh. 3,1; 4,9-10).

5. Gottes Liebe ist barmherzig (Eph. 2,4). Sie ist nicht tyrannisch oder besitzgierig; sie fliesst aus seinem unergründlichen, ewigen Erbarmen.

6. Gottes Liebe ist eine rettende und heiligende Liebe (2. Thess. 2,13). Sie reisst den Menschen aus seiner hoffnungslosen Vergangenheit, und schenkt ihm die Kraft einer neuen, hellen Zukunft.

7. Gottes Liebe ist eine stärkende Liebe. In dieser Liebe und durch sie wird der Mensch mehr als ein Überwinder (Röm. 8,37). Es ist keine verweichlichende, ängstlich beschützende Liebe, die einen Menschen schwach und kraftlos macht, es ist eine Liebe, die zu Helden erzieht.

8. Gottes Liebe ist eine unzerstörbare Liebe (Röm. 8,39). Alle menschliche Liebe findet einmal ihr Ende, wenigstens für eine Zeit, aber Gottes Liebe überdauert alle Zufälle, Veränderungen und Bedrohungen des Lebens.

9. Gottes Liebe ist eine belohnende Liebe (Jak. 1,12; 2,5). Sie ist köstlich für dieses Leben, aber ihre Verheissungen für das zukünftige Leben sind noch grösser.

10. Gottes Liebe ist eine züchtigende Liebe (Heb. 12,6). Gott weiss, dass Zucht ein wesentliches Teil der Liebe ist.

Das NT hat viel zu sagen über die Beschaffenheit unserer Liebe zu Gott.
1. Sie muss eine ausschliessliche Liebe sein (Mt. 6,24); (Lk. 16,13). Ein Christ kann nur einem Herrn treu sein.

2. Sie ist eine auf Dankbarkeit gegründete Liebe (Lk. 7,42.47). Die Geschenke der Liebe Gottes fordern als Gegengabe die ganze Liebe unseres Herzens.

3. Sie ist eine gehorsame Liebe. Das NT macht wiederholt klar, dass der einzige Prüfstein der Liebe zu Gott unser bedingungsloser Gehorsam ist (Joh, 14,15; 21,23-24; 13,35; 15,10; 1. Joh. 2,5; 5,2-3; 2. Joh. 6). Gehorsam ist der endgültige Beweis der Liebe.

4. Sie ist eine mitteilende Liebe. Unsere Liebe zu Gott muss sich zeigen, indem wir unsere Mitmenschen lieben und ihnen helfen (1. Joh. 4,12.20; 3,14; 2,10). Fehlende Hilfsbereitschaft und Liebe zeigt, dass unsere Liebe zu Gott unwirklich und unwahr ist (1. Joh. 3,17). Gehorsam gegenüber Gott und helfende Liebe für die Menschen sind die zwei Prüfsteine unserer Liebe zu Gott.

Nun wollen wir die andere Seite des Bildes ansehen: die Liebe des Menschen zu den Menschen.
1. Liebe muss die eigentliche Atmosphäre des christlichen Lebens sein (1. Kor. 16,14; Kol. 1,4; 1. Thess.1,3; 3,6; 2. Thess. 1,3; Eph. 5,2; Offb. 2,19). Liebe ist das Kennzeichen der christlichen Gemeinschaft. Eine Gemeinde, in der Bitterkeit und Streit herrschen, hat nicht das Recht sich Gemeinde Christi zu nennen. Eine solche Gemeinde hat die Atmosphäre des christlichen Lebens zerstört und muss ersticken; sie hat das Kennzeichen des christlichen Lebens verloren und ist nicht länger als Gemeinde erkennbar.

2. Die Gemeinde Jesu ist durch Liebe gebaut (Eph. 4,16). Liebe ist das Bindemittel, das das Gebäude zusammenhält, das Klima, in dem die Gemeinschaft wachsen kann, die Nahrung, durch die die Christen gedeihen.

3. Die motivierende Kraft der Leiter christlicher Gemeinden muss die Liebe sein (2. Kor. 11,11; 12,15; 2,41; 1. Tim. 4,12; 2. Tim. 3,10; 2. Joh. 1; 3. Joh. 1). Für den, der ein Amt übernimmt, um Prestige, Beliebtheit oder Macht zu gewinnen, sollte kein Platz in der Gemeinde sein. Der Beweggrund eines führenden Gliedes der Gemeinde muss allein die Liebe zu Gott und seinen Mitmenschen sein.

4. Gleichzeitig muss die Haltung des Christen gegenüber den leitenden Brüdern in der Gemeinde Liebe sein (1. Thess. 5,13). Zu oft herrscht hier die Einstellung von Kritik, Unzufriedenheit, ja sogar Unmut und Groll. Das Band der christlichen Gemeinschaft ist das Band der Liebe zu allen, gleich welche Stellung sie in dieser Gemeinschaft einnehmen.

Die christliche Liebe breitet sich nach jeder Richtung aus.
1. Sie beginnt in der Familie (Eph. 5,25.28.33). Man sollte nicht vergessen, dass eine christliche Familie einer der besten Zeugen für das Christentum in der Welt ist. Christliche Liebe beginnt zu Hause. Der Mann, der seine Familie nicht zu einem Mittelpunkt christlicher Liebe gemacht hat, hat kein Recht, in der grösseren Familie der Gemeinde Autorität auszuüben.

2. Die christliche Liebe erstreckt sich auf die Brüder (1. Pet. 2,17). Es war der erstaunte Ausruf der Heiden im ersten Jahrhundert: „Seht, wie diese Christen sich untereinander lieben!“ Heutzutage werden viele Menschen von der Gemeinde abgehalten, weil sie den Aussenstehenden oft wie eine Gesellschaft von Leuten erscheint, die sich erbittert um ein Nichts streiten. Eine Gemeinde, die vollkommen umgeben ist vom Frieden gegenseitiger Liebe, ist eine seltene Erscheinung. In einer solchen Gemeinde denken nicht alle das gleiche und stimmen nicht in allen Dingen überein, sondern die Glieder unterscheiden sich und lieben sich dennoch.

3. Die christliche Liebe erstreckt sich auf unsere Nächsten (Mt. 19,19; 22,39; Mk. 12,31; Lk. 10,27; Röm. 13,9; Gal. 5,14; Jak. 2,8). Und unser Nächster ist jeder, der gerade unsere Hilfe braucht. Ein römischer Dichter sagte: „Ich achte keinen Menschen als Fremden.“ Tatsache ist, dass mehr Leute durch die wirklich gütige Liebe zur Gemeinde gezogen wurden, als durch alle theologischen Argumente. Und mehr Leute werden durch Härte und abstossendes Benehmen sogenannter Christen von der Gemeinde weggetrieben, als durch alle Zweifel der Welt.

4. Die christliche Liebe erstreckt sich auch auf unsere Feinde (Lk. 6,27; Mt. 5,44). Wir haben gesehen, dass die christliche Liebe unüberwindliches Wohlwollen und unbesiegbaren guten Willen bedeutet. Ganz gleich, wie der Christ beleidigt, verletzt, verkannt oder verleumdet wird, er wird nie hassen und keine Bitterkeit in seinem Herzen beherbergen. Als Lincoln beschuldigt wurde, seine Gegner mit zu viel Höflichkeit und Freundlichkeit zu behandeln, wo es vielleicht seine Pflicht gewesen wäre, sie zu vernichten, antwortete er: „Vernichte ich nicht meine Feinde, wenn ich sie zu meinen Freunden mache?“ Der einzige Weg des Christen, seine Feinde zu vernichten, ist der, sie durch die Liebe zu Freunden zu gewinnen.

Wir müssen nun die Eigentümlichkeiten dieser christlichen Liebe betrachten.
1. Die Liebe ist aufrichtig (Röm. 12,9; 2. Kor. 6,6; 8,8; 1. Pet. 1,22). Sie hat keine Nebenabsichten, sie ist ohne Berechnung. Sie ist keine oberflächliche Freundlichkeit, die innere Bitterkeit verdeckt. Es ist eine Liebe, die mit offenen Augen und mit offenem Herzen liebt.

2. Die Liebe ist schuldlos (Röm. 13,10). Christliche Liebe verletzt niemand. Sogenannte Liebe kann auf zweierlei Weise schaden. Sie kann zur Sünde verleiten, oder sie kann übertrieben beschützend und besitzergreifend wirken. Falsch verstandene Mutterliebe kann grossen Schaden anrichten.

3. Die Liebe ist freigiebig (2. Kor. 8,24). Es gibt zwei Arten von Liebe - die Liebe, die fordert und die Liebe, die gibt. Die christliche Liebe ist eine gebende Liebe, denn sie gleicht der Liebe Jesu (Joh. 13,34) und hat ihre Quelle in der gebenden Liebe Gottes (1. Joh. 4,11).

4. Die Liebe ist praktisch (Heb. 6,10; 1. Joh. 3,18). Sie ist nicht bloss ein freundliches Gefühl und erschöpft sich nicht in frommen Wünschen; sie ist eine Liebe, die Taten hervorbringt.

5. Die Liebe kann ertragen (Eph. 4,2). Die christliche Liebe ist gegen alle Einflüsse gefeit, die versuchen sie in Hass umzuwandeln.

6. Aus Liebe erwächst Vergebung und Wiederherstellung (2. Kor. 2,8). Die christliche Liebe ist fähig zu vergeben, und durch die Vergebung bewegt sie den Irrenden zur Rückkehr auf den rechten Weg.

7. Liebe ist nicht sentimental (2. Kor. 2,4). Die christliche Liebe verschliesst nicht die Augen vor den Fehlern der anderen. Liebe ist nicht blind. Sie will uns zurechtweisen und züchtigen, wo es nötig ist. Die Liebe, die ihre Augen vor allen Fehlern verschliesst, und den Unannehmlichkeiten jeglicher Zucht ausweicht, ist gar keine wirkliche Liebe, denn schliesslich schadet sie nur.

8. Liebe schränkt die Freiheit ein (Gal. 5,13; Röm. 14,15). Es ist wahr, dass ein Christ das Recht hat, alles zu tun, was nicht Sünde ist. Aber es gibt manches, das an sich nicht falsch ist, das aber dennoch anderen Christen Ärgernis geben kann. Es gibt Dinge, die dem einen nichts schaden, aber den anderen zur Sünde führen können. Der Christ vergisst nie seine christliche Freiheit, aber er vergisst auch nie, dass seine Freiheit der christlichen Liebe und der Verantwortung für andere untergeordnet sein muss.

9. Liebe ist eng mit der Wahrheit verbunden (Eph. 4,15). Der Christ liebt die Wahrheit (2. Thess. 2,10), aber er sagt die Wahrheit nicht ohne Mitgefühl, nicht um zu verletzen. Der Christ verrät niemals die Wahrheit Gottes, aber er vergisst nie, dass Liebe und Wahrheit immer Hand in Hand gehen müssen.

10. Liebe ist das Band, das die christliche Gemeinschaft zusammenhält (Phil. 2,2; KoI. 2,2). Paulus spricht von Christen, die verbunden und zusammengehalten sind in der Liebe. Unsere theologischen Auffassungen mögen verschieden sein, wir mögen verschiedene Methoden benutzen, aber über alle Verschiedenheit hinweg, sollte uns die Liebe zu Christus und damit die Liebe untereinander zusammenhalten.

11. Die Liebe gibt dem Christen auch das Recht, Hilfe von anderen Christen zu erbitten (Philemon 9). Wenn wir wirklich in Liebe zusammenstünden, würde es uns leicht fallen, etwas zu erbitten und natürlich auch zu geben, wo es erforderlich ist.

12. Liebe ist die motivierende Kraft des Glaubens (Gal. 5,6). Mehr Menschen entscheiden sich mit dem Herzen für Christus als mit dem Verstand. Der Glaube wird nicht so sehr aus verstandesmässigem Suchen geboren, als durch die Erhabenheit des Kreuzes Christi. Natürlich müssen wir früher oder später die Dinge für uns selbst durchdenken, aber in Glaubensdingen muss das Herz erst fühlen, bevor der Verstand denken kann.

13. Liebe ist die Vervollkommnung des christlichen Lebens (Röm. 13,10; KoI. 3,14; 1. Tim. 1, 5; 6,11; 1. Joh. 4,12). Es gibt nichts Höheres in dieser Welt, als zu lieben. Die grösste Aufgabe jeder Gemeinde ist nicht, ihr Gebäude zu vervollständigen, oder ihre Liturgie, Musik oder Gewänder zu verschönern. Die grösste Aufgabe ist es, ihre Liebe zu vervollkommnen.

Am Ende können wir also ohne Zweifel sagen, dass die zwei Pfeiler des christlichen Lebens die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen sind.