Begriffe1-15: Hypomone – die mannhafte Tugend

Griechische Begriffe 1

15.  Hypomone = Geduld

von William Barclay

 

Hypomone ist eines der erhabensten Wörter des Neuen Testaments. Gewöhnlich wird es mit Geduld oder aushalten, ausharren übersetzt, aber, wie wir sehen werden, gibt es kein einziges deutsches Wort, das seine volle Bedeutung wiedergibt. Im klassischen Griechisch war es nicht sehr gebräuchlich. Es bezeichnet dort das Erleiden von Mühe und Plage, die gegen seinen Willen über einen Menschen gekommen sind, das Erdulden von Gram und Schmerz, den Schrecken der Schlacht und das Nahen des Todes. Es findet eine sehr interessante Anwendung - es bezeichnet die Fähigkeit einer Pflanze, unter harten und ungünstigen Bedingungen zu gedeihen. Im späteren Griechisch, in der späteren jüdischen Literatur, z. B. im 4. Makkabäer-buch, ist es besonders gebräuchlich für jene geistige Kraft, die die Menschen befähigte, für ihren Gott zu sterben.

Im NT wird das Substantiv hypomone dreissigmal benutzt und das entsprechende Verb hypomonein in demselben Sinn etwa fünfzehnmal. Wie schon gesagt, ist die gebräuchliche Übersetzung des Hauptwortes Geduld und die des Verbs ausharren, aber wenn wir den Gebrauch im einzelnen untersuchen, werden wir grosse, ermutigende Wahrheiten darin finden.

1. Hypomone wird allgemein in Verbindung mit Trübsal gebraucht. Trübsal wirkt Geduld (Röm 5,3). Ein Christ muss sich üben in Geduld und in Trübsalen (2 Kor 6,4). Die Thessalonicher werden für ihre Geduld und ihren Glauben in Trübsalen gelobt (2 Thess 1,4). Ein Christ muss geduldig - hypomonein sein in Trübsalen. Diesen Gebrauch finden wir vor allem in der Offenbarung sehr oft (vgl. Offb 1,9; 3,10; 13,10).

2. Hypomone wird in Verbindung mit Glauben gebraucht. Die Prüfung des Glaubens bewirkt Geduld (Jak 1,3). Es ist hypomone, die den Glauben vollkommen macht.

3. Hypomone wird auch in Verbindung mit Hoffnung gebraucht. Trübsal wirkt Geduld, Geduld wirkt Erfahrung und Erfahrung wirkt Hoffnung (Röm 5,3-4). Es sind Geduld und Trost, die Hoffnung hervorrufen (Röm 15,4-5). In 1 Thess 1,3 wird die Geduld in der Hoffnung der Christen in Thessalonich gerühmt.

4. Hypomone ist mit Freude verbunden. Das christliche Leben zeichnet sich durch Langmut, Geduld und Freude aus (Kol 1,11).

5. Am meisten steht hypomone in Verbindung mit einem Ziel in Herrlichkeit, mit etwas Grossem, das die Christen noch erwarten. Es seien hier nur einige der vielen Stellen angeführt (Lk 21,19; Röm 2,7; Hebr 10,36; 12,1; 2 Tim 2,10.12; Jak 1,12; 5,11).

Jetzt können wir die ganze charakteristische Bedeutung dieser grossen Tugend hypomone erkennen. Es ist nicht die Fähigkeit, dazusitzen, den Kopf zu beugen und die Anfechtung passiv zu erdulden, bis der Sturm vorübergeht. Es ist nicht einfach ein Erleiden der Widerwärtigkeiten. Es ist der Geist, der Belastungen tragen kann, nicht in Resignation, sondern in strahlender Hoffnung. Jemand hat es „eine männliche Beständigkeit in Trübsal“ genannt. In hypomone ist etwas von andreia - Mut verborgen. Chrysostomos nennt hypomone „eine Wurzel alles Guten, Mutter der Frömmigkeit, Frucht, die nie verwelkt, eine Festung, die nie eingenommen wird, ein Hafen, der keinen Sturm kennt.“ Er nennt es „die Königin der Tugenden, die Grundlage rechten Handelns, Frieden im Krieg, Geborgenheit im Orkan, Sicherheit im Aufruhr.“ Weder die Gewalttätigkeit von Menschen noch die Macht des Bösen können hypomone bezwingen.

Hypomone lässt einen Mann aufrecht stehen und dem Sturm trotzen. Es ist die Tugend, die die härteste Prüfung in Sieg verwandeln kann, weil sie hinter der Pein das Ziel sieht. George Matheson, der mit Blindheit geschlagen und in der Liebe enttäuscht worden war, schrieb ein Gebet, in dem er bittet, dass er Gottes Willen annehmen möge, „nicht in dumpfer Resignation, sondern in heiliger Freude, nicht nur ohne Murren, sondern mit einem Loblied.“ Nur hypomone kann einen Menschen dazu befähigen.