Auslegung-23: Anwendung von Texten ... (Teil 3)

Auslegung der Bibel [3]

 

Einstieg: Wenn wir versuchen eine Schriftstelle anzuwenden, sollten wir uns fragen: „Lehrt uns diese Schriftstelle etwas über unser Verhalten in der Gesellschaft, zu Hause oder an der Arbeit? Wird darin etwas gesagt über unser moralisches und ethisches Verhalten?

Wenn Christen die Bibel lesen, dann wollen sie nicht bloss den Glauben entdecken, sondern auch lernen, wie sie ihn leben können. Die Bibel enthält einen Standard, der darauf ausgerichtet ist, Christen zu führen in ihrem täglichen Leben und in ihrem moralischen und ethischen Verhalten. Wie können wir aber wissen, wie dieser Standard aussieht? Wie sollen diese biblischen Lehren angewandt werden, da sie uns vor über zweitausend Jahren gegeben wurden und wie passen sie in unsere heutige Zeit?

Die Bibel und das christliche Leben

Christen halten sich an alles, was die Bibel lehrt. An alles? Ja, alles! Selbstverständlich ist nicht alles gleich bedeutend für uns Christen, was in der Bibel steht. Das Alte Testament bezieht sich nicht direkt auf uns, trotzdem kann es uns helfen, unser christliches Leben besser zu verstehen:

(1)  Die alttestamentlichen Gesetze illustrieren, wie Gott über verschiedene moralische und ethische Themen denkt.

(2)  Die alttestamentliche Geschichte illustriert, wie Gott mit den Menschen umgeht, besonders, wie er den Gehorsam belohnt und den Ungehorsam straft.

(3)  Die alttestamentlichen Persönlichkeiten demonstrieren manchmal, wie Gott im Leben seines Volkes arbeitet oder arbeiten möchte.

(4)  Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments ist allgemein anwendbar und schenkt uns Weisheit in Bezug auf unseren Lebenswandel vor der Gegenwart eines allwissenden und heiligen Gottes.

(5)  Die Propheten im Alten Testament sprachen damals zum Volk Gottes, wobei auch einige Lektionen für uns heute darin enthalten sind.

Wenn wir uns dem Neuen Testament zuwenden, dann lesen wir in Büchern, die vom ersten Jahrhundert bis heute für Christen geschrieben wurden. Darum können wir annehmen, dass das Meiste, was im Neuen Testament geschrieben wurde, auch für uns heute anzuwenden ist. Wie?

(1)  Die Evangelien sind anwendbar für uns, weil sie uns über das Leben Jesu erzählen. Um Jesus in seinen Fussstapfen nachfolgen zu können (1 Petr 2,21), müssen wir ihn in seinem Wesen kennen lernen.

(2)  Die Evangelien sind auch deshalb von grossem Nutzen, weil sie die Lehre Jesu beinhalten. Als Nachfolger Jesu wollen wir seinen Anweisungen gehorchen.

(3)  Die Apostelgeschichte ist deshalb auch für uns zutreffend, weil wir darin erfahren, wie die Gemeinde gegründet wurde und wuchs. Gleichzeitig zeichnet die Apostelgeschichte ein Bild von einer dynamischen Bewegung, die von hingebungsvollen Jüngern begleitet wurde. Dieses Bild motiviert uns heute noch zu grösserer Hingabe.

(4)  Die Briefe sind auch auf uns übertragbar, weil sie an Christen geschrieben wurden. Obschon sie mit Problemen der damaligen Gemeinden und Situationen zu tun haben, so geben sie uns oft Anleitungen und direkte Antworten auf unsere Situationen heute.

(5)  Das Buch der Offenbarung ist heute deshalb einsetzbar, weil sie Christen in Verfolgung ermutigt treu zu bleiben. Sie verspricht am Ende allen Treuen den Sieg. Darum ermutigt dieses Buch auch uns, festzuhalten bis zum ultimativen und sicheren Sieg Gottes und seines Volkes.

Wenn wir das Neue Testament lesen, dann beginnen wir mit der Annahme, alles was wir lesen, gelte auch uns. Wenn wir lesen, dass den Christen in Rom gesagt wurde, ihre „Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ (Röm 12,1), dann nehmen wir an, dass dasselbe auch für uns gilt. Mit den Worten von Jakobus, der seinen Lesern schreibt (Jak 1,27): „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen ...“, werden auch wir aufgefordert, Waisen und Witwen zu besuchen, die auch heute bedrängt werden. Weil Jesus seine Jünger lehrte (Mt 5,16): „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen“, nehmen wir zu Recht an, dass auch wir unser Licht leuchten lassen sollen.

Aber selbst wenn wir annehmen, dass solche Verse auch uns gelten, dann haben wir vielleicht immer noch Fragen.

• In Bezug auf Römer 12,1 gilt es zu entscheiden, was es genau zu bedeuten hat, unseren Körper als ein lebendiges und heiliges Opfer für Gott darzubringen. Was gilt es zu tun, wenn wir uns bemühen, diesen Anforderungen nachzukommen?

• In Bezug auf Jakobus 1,27 fragen wir vielleicht, was das zu bedeuten hat für uns. Wir lernen daraus, dass es mehr bedeutet als bloss jemand zu besuchen. Es bedeutet Fürsorge für unsere Geschwister. Das heisst, wir sollten unsere Fürsorge niemals nur auf Waisen und Witwen beschränken. Jakobus erwähnt im besonderen diese beide Gruppen, weil sie zur damaligen Zeit, die am meisten vernachlässigt wurden und Hilfe brauchten. Deshalb sollten wir Jakobus 1,27 als Aufruf betrachten, allen hilfsbedürftigen Menschen beizustehen.

• In Bezug auf Matthäus 5,16 könnte die Frage aufkommen: „Wie lassen wir unser Licht leuchten?“ Doch Jesus gibt die Antwort gleich selbst im Vers, indem er sagt: „Wir lassen unser Licht leuchten durch unsere guten Werke.“ Um diese Stelle persönlich auf uns zu übertragen, sollten wir uns fragen: „Welche guten Werke kann ich tun, um mein Licht scheinen zu lassen?“

Während wir solche Fragen zu beantworten suchen, bestätigen wir auch die Tatsache, dass die meisten Instruktionen des Neuen Testaments genauso direkt auf uns bezogen werden können, wie auf die ersten Leser. Selbst die ersten Leser mussten damals solche Fragen beantworten!

Wenn der Text einen Grund vorschlägt, warum eine Stelle nicht direkt auf uns angewandt wird, dann sollten wir einen anderen Weg suchen, um eine Anwendung zu finden. Manchmal enthält das Neue Testament Instruktionen, die nur einzelnen Personen gegeben wurden und nicht auf alle Leser angewandt werden können. Manchmal finden wir bildlich ausgedrückte Instruktionen, die nicht buchstäblich gedacht sind. Andere Instruktionen des Neuen Testaments reflektieren altertümliche Bräuche, die nicht für uns heute angewandt werden können.

In solchen Fällen können Christen eine Stelle anwenden, indem sie sich fragen: „Welches christliche Prinzip steckt dahinter, um diese Instruktionen universal anzuwenden?“ In vielen Ländern ist es zum Beispiel heute nicht üblich, einander mit einem Kuss zu begrüssen. Aber wie kann dann diese Schriftstelle angewandt werden, die auffordert (Röm 16,16a): „Grüsst einander mit heiligem Kuss?“ Diese Stelle kann als Prinzip so angewandt werden, dass wir einander mit der landesüblichen oder kulturellen Art herzlich begrüssen.

Wie auch immer, wir können nicht in jedem Fall annehmen, dass kulturelle Veränderungen sich auch auf unsere biblischen Auslegungen auswirken sollten. So ist es zum Beispiel heute in den USA und anderen Ländern normal, dass Männer und Frauen schon vor der Hochzeit zusammenleben. Selbst wenn eine Gesellschaft dies nicht verurteilt, die Bibel tut dies! Wenn sich eine Kultur verändert, dann macht das noch lange nicht eine falsche Praxis richtig. Ebenso darf die Lehre des Neuen Testaments nicht verändert werden durch die Frauenrechtsbewegung, die in vielen Ländern der Welt ihren Einfluss ausübt. Viele lehnen das Neue Testament ab, das lehrt, dass der Ehemann das Haupt der Ehefrau ist und dass die Frauen in den Gemeindeversammlungen schweigen sollen. Solche Lehren seien veraltet, behaupten sie. Im Gegensatz dazu lehrt das Neue Testament seit zweitausend Jahren immer noch dasselbe über die Aufgaben der Frauen zu Hause und in der Gemeinde. Wenn unsere Gesellschaft eine partnerschaftliche Beziehung heute verändert betrachtet, so ist das für uns Christen nicht massgebend, wenn das der klaren Lehre der Bibel widerspricht.

Wie können wir die Bibel, besonders das Neue Testament, auf unser christliches Leben anwenden? Primär gilt es anzunehmen, dass das Meiste, was wir lesen auch uns betrifft. Wenn wir lesen (Eph 5,25): „Ihr Männer, liebt eure Frauen ...“, dann brauchen wir bloss zu fragen: „Wie kann ich solche Liebe bekunden?“ Wenn wir lesen (Eph 4,32a): „Seid zueinander gütig“, dann können wir uns fragen: „Wie bin ich gütig und wie gehe ich freundlich mit anderen um?“ Bei solchen Bibelstellen kann gesagt werden: „Solche Aussagen brauchen keine besonderen Fähigkeiten zur Auslegung, sondern nur die entsprechende Anwendung.“

Bibel und Moral

Eine weitere Frage, die es zu beantworten gilt, während wir die Bibel auf unser tägliches Leben anwenden, ist: „Wie wenden wir die Schriften auf moralische und ethische Themen an?“ Die Antwort zu dieser Frage ist nicht einfach und klar, wie es aus den folgenden Tatsachen hervorgeht: (1) Einige bekennende Gläubige sind der Meinung, dass es keine moralischen Leitlinien gibt, die auf unsere heutige Gesellschaft angewandt werden können. (2) In der modernen Welt tauchen immer mehr moralische und ethische Themen auf, die in biblischer Zeit noch nicht bekannt waren. Paulus sagte zum Beispiel nichts konkretes darüber, ob es richtig oder falsch sei menschliche Wesen zu klonen. (3) Viele Gläubige sind sich nicht einig, was die Bibel in Bezug auf moralische Themen fordert, wie zum Beispiel, „Schamhaftigkeit und Sittsamkeit“ und was darunter verstanden werden soll (1 Tim 2,9). (4) Einige Forderungen der Bibel sind schwierig zu verstehen und anzuwenden; zum Beispiel (Mt 5,29): „Wenn aber dein rechtes Auge dir Anlass zur Sünde gibt, so reiss es aus und wirf es von dir ...“

Wie können Gläubige heute, trotz dieser Schwierigkeiten, Antworten auf moralische Fragen finden, mit denen wir heute konfrontieren werden? Von welchen Richtlinien sollten wir uns leiten lassen, um die biblischen Lehren richtig anzuwenden und ein reines und heiliges Leben zu führen?

Der moralische Standard Gottes für uns ist in der Bibel zu finden
Die Bibel rüstet den Menschen Gottes aus „zu jedem guten Werk“ (2 Tim 3,16-17). Deshalb suchen wir, die wir der Bibel glauben, in Bezug auf moralische und ethische Fragen, im Wort Gottes nach einer Anleitung. Welcher Teil der Bibel enthält moralische Instruktionen für uns heute?

Das Alte Testament und das Christentum. Wir sollten uns daran erinnern, dass das Alte Testament mit seinen Gesetzen nicht auf uns direkt angewandt werden kann, da der alte Bund beseitigt wurde (Eph 2,15). Trotzdem kann gesagt werden, dass die moralischen und ethischen Gesetze des neuen Bundes grundlegend nicht vom alten Bund abweichen. Wenn das mosaische Gesetz eine Tat als unmoralisch verurteilt, dann können wir meistens davon ausgehen, dass Gott dies bis heute immer noch so sieht.

Zudem steht im Neuen Testament, dass wir aus dem Alten Testament lernen sollen (Röm 15,4; 1 Kor 10,11). Natürlich müssen wir vorsichtig damit umgehen, bevor wir irgendwelche moralischen Lektionen von alttestamentlichen Handlungen für uns ziehen. Normalerweise erzählen uns die Ereignisse im Alten Testament nicht, ob eine Handlung gut oder schlecht war. Wir sollten zum Beispiel vorsichtig sein, bevor wir Wasti oder Ester (im Buch Ester) als gutes moralisches Beispiel für junge Frauen von heute hinstellen. Generell gesagt müssen die Handlungen im Alten Testament unter dem damaligen Gesetz beurteilt werden. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet können solche Handlungen dennoch als gute Beispiele dienen, um die Hingabe, die im Neuen Testament verlangt wird, darzustellen.

Erst, wenn ein inspirierter Schreiber im Neuen Testament ein Beispiel aus dem Alten Testament aufgreift, um es als vorbildliches Beispiel hinzustellen, dann gilt diese Anwendung als verbindlicher Standard für unser christliches Leben. Ansonsten ist das Alte Testament für uns heute nicht mehr bindend.

Das Neue Testament und das Christentum. Auf der anderen Seite gibt uns das ganze Neue Testament Anweisungen, wie wir Gott zum Gefallen leben. Folglich enthält jeder Teil des Neuen Testaments Lehrmaterial, das uns anleitet, wie wir als Christen unser tägliches Leben zu führen haben. Die Evangelien enthalten nicht nur die Ereignisse über das Leben Jesu, sondern auch seine Lehren. Diese Berichte wurden von Gliedern der frühen Gemeinden geschrieben und dort auch vorgelesen. Der Zweck ist ohne Zweifel, die Jünger Jesu in der Nachfolge ihres Herrn zu unterrichten.

Die Apostelgeschichte enthält wenig moralische Instruktionen, aber sie zeichnet ein Bild von hingebungsvollen Christen in früher Zeit. Ihre Verhaltensweise diente vermutlich dazu, eine Regel für spätere Generationen der Gemeinde des Herrn aufzustellen. Die Briefe waren dazu gedacht, besonders Christen zu helfen, ein treues Leben im Herrn zu führen. Sie enthalten eine Vielzahl moralischer und ethischer Lehren. Selbst das Buch der Offenbarung warnt vor der Sittenlosigkeit (siehe Offb 21,8). Wenn wir also wissen wollen, was Gott von Christen verlangt in Bezug auf moralisches und ethisches Verhalten, dann können (oder sollten) wir das gesamte Neue Testament lesen und studieren.

Der moralische Standard Gottes ist absolut
Moralische Relativisten glauben, dass nichts in allen Situationen absolut und sicher falsch sein kann. Sie sagen, ob etwas falsch sei oder nicht, hänge von den Umständen ab. Sie geben zwar zu, dass ein Seitensprung in den meisten Fällen falsch ist, aber behaupten gleichzeitig, dass er gerechtfertigt sei und deshalb in gewissen Umständen keine Sünde. Sie sind sich darin einig, dass die Lüge oder der Mord falsch ist, aber es hänge auch von den entsprechenden Umständen ab, unter denen eine Person lügt oder tötet. Für sie gibt es nichts Absolutes.

Ein Argument zur Verteidigung dieser Ansicht sei, dass sich Zeiten und Bräuche ändern. Einige meinen, dass auch Gottes Gebote sich ändern müssten. Unsere neue Welt, in der die Menschen Gesetze als etwas Fremdes betrachten, mache es unmöglich, Gottes Willen anzuwenden.

Während veränderte Bräuche tatsächlich unser Verhalten gegenüber Gott beeinflussen, müssen wir in Betracht ziehen, dass Gottes moralische Gesetze unveränderbar, d. h. moralisch absolut sind. Wenn wir die Bibel als unsere Richtschnur annehmen, dann müssen wir die Tatsache akzeptieren – unabhängig von Veränderungen der Kultur, Orte oder Zeiten – dass es einiges gibt, dass immer falsch sein wird! Es war schon immer falsch jemanden umzubringen, zu lügen, zu stehlen und die Ehe zu brechen; und solche Handlungen sind heute noch falsch.

Ein moralisch absolutes Beispiel ist folgendes: Betrachten wir die Bibel bezüglich homosexuellem Verhalten. Viele haben sich in letzter Zeit eingesetzt, die Homosexualität zu legitimieren und als einen alternativen Lebensstil zu akzeptieren; dabei griffen sie die an, die gegen eine solche Praxis argumentierten, indem sie sie als „schwulenfeindlich“ und „fanatisch“ bezeichneten. Doch die Bibel lehrt einheitlich, dass die Homosexualität eine Sünde ist (Lev 18,22; 20,13; Röm 1,26-27). Christen sind einverstanden, dass Homosexualität nicht schlimmer ist als andere Sünden, wie zum Beispiel Ehebruch oder Unzucht. Wichtig ist auch, dass es Christen verstehen, alle Sünder zu lieben, statt zu hassen; darunter zählen auch Homosexuelle, obschon ihre Sünde verurteilt werden muss. Wenn wir der Bibel glauben, dann müssen wir akzeptieren, dass sie klar und entschieden die Homosexualität als Sünde verurteilt.

Der moralische Standard im Wort Gottes verlangt nach prinzipieller Anwendung
Ohne zu zögern können wir von einigen Praktiken sagen, dass sie falsch sind, weil sie in der Bibel als sündhaft bezeichnet werden. Aber nicht alle moralischen und ethischen Fragen können so einfach gelöst werden. Warum?

Eine Herausforderung ist, dass die Bibel über Situationen instruiert, die heute nicht mehr existieren. Auch das Neue Testament enthält ähnliche Gesetze, die überholt sind wie zum Beispiel, wie Herren ihre Sklaven halten sollen. Wie werden solche Gesetze dort angewandt, wo es keine Sklaverei mehr gibt wie zu biblischen Zeiten? In der heutigen Zeit treten moralische Fragen auf, die in der Bibel nicht direkt angesprochen werden. Wie verhält sich das mit der Spielbank im Kasino oder ganz allgemein mit Glücksspielen? Die Bibel verurteilt das Spielen nicht konkret. Müssen wir deshalb annehmen, dass Gott das Spielen toleriert? Zudem wirft die moderne Technologie Fragen auf, die nicht konkret aus den Schriften beantwortet werden können. (1) Die Bibel verurteilt den Krieg nicht, trotzdem fragen sich Christen, ob ein nuklearer Krieg oder das Zerbomben von Städten richtig ist? (2) Fällt die Zerstörung von menschlichen Embryos zur medizinischen Forschung unter die Rubrik Mord? (3) Ist es in Ordnung, wenn menschliche Wesen geklont werden? Werfen moderne Erfindungen wie Autos, Computer und das Internet moralische und ethische Fragen auf? Wenn ja, wie sollten diese Fragen beantwortet werden?

Da die Bibel solche Fragen nicht direkt adressiert, gibt es für Gläubige nur die Lösung, dass sie im Wort Gottes nach Prinzipien suchen, die ähnliche Angelegenheiten behandeln.

Beim Studium der Schrift ist es deshalb notwendig, dass wir uns nicht nur mit den offensichtlichen Aussagen befassen, sondern auch mit den göttlichen Prinzipien, die hinter verschiedenen Aussagen liegen. Das wird uns helfen, einige moralische Fragen an Hand der Bibel aufzuwerfen.

Erstens, die Suche nach biblischen Prinzipien hilft uns Lehren anzuwenden, die sonst problematisch wären. Obschon Jesus sagte, dass wir unser Auge ausreissen sollen, das uns zur Sünde verführt und ebenso unsere Hand abhauen sollen (Mt 5,29-30; Mk 9,43-48), so versteht sich von selbst, dass dies nicht wortwörtlich gemeint sein kann. Vielmehr geht es hier um eine übertriebene Sprache, denn Jesus lehrt damit das folgende Prinzip: Alles, was uns zur Sünde verführt soll aus unserem Leben verbannt werden, egal wie lieb es uns geworden ist. Dieses Prinzip kann nicht nur auf das Problem der Lust angewandt werden, sondern es dient für alle Situationen, die uns zur Sünde verführen. Ebenso sagt Jesus (Mt 5,41): „Wenn jemand dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem geh zwei“, dann lehrt er uns folgendes Prinzip: Wenn wir verpflichtet werden etwas zu tun, dann sollten wir keine Minimalisten sein, sondern mehr tun, als es von uns verlangt wird. Gleicherweise sagt Jesus (Mt 22,21): „Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Damit führte er ein Prinzip ein, an das sich die ersten Christen hielten, nämlich: Wir sind verpflichtet dem Staat unsere Steuern zu zahlen.

Zweitens, das Verständnis von biblischen Prinzipien hilft uns, auf moralische Fragen eine Antwort zu finden, die nicht speziell in der Bibel diskutiert werden. Das Spielen wird in der Bibel nicht verurteilt, aber es verletzt bestimmte biblische Prinzipien. (1) Der Spieler hofft Geld zu machen, ohne arbeiten zu müssen. Das verletzt das Prinzip, dass der Mensch arbeiten soll, um sein Geld zu verdienen. (2) Spielen verletzt auch das Prinzip des guten Haushalters, der den Verlust seines Geldes beim Spiel riskiert. (3) Zudem verletzt das Spielen die Liebe zum Mitmenschen, da der Spieler hofft, auf Kosten des Andern Gewinn zu machen.

Drittens, das Betrachten von biblischen Prinzipien hilft uns, moralische Fragen der modernen Technologie zu beantworten. Sagt die Bibel uns irgendetwas in Bezug auf das, wie Christen Auto fahren sollen? Trotzdem gibt es dazu verschiedene Prinzipien, die auch auf das Autofahren angewandt werden können: (1) Christen sollen sich den Gesetzen des Staates unterwerfen. (2) Wir werden aufgerufen zur Liebe für unsere Mitmenschen. Darum können rücksichtslose, grob fahrlässige und egozentrische Handlungen verurteilt werden. (3) Christen betrachten das menschliche Leben als etwas Wertvolles. Deshalb gibt es keine Rechtfertigung für waghalsige Manöver, mit denen wir uns selbst oder andere in Gefahr bringen. In ähnlicher Weise können wir mit dem Prinzip des Wertes für menschliches Leben auch die Frage nach der Abtreibung, Sterbehilfe, embryonische Stammzellen für die Forschung und das Klonen beantworten.

Viertens, das Bemühen um biblische Prinzipien hilft uns, moralische Entscheidungen zu treffen, wenn sich gesellschaftliche Gewohnheiten ändern. Im ersten Jahrhundert wurden die Frauen angeleitet, sich sittsam zu kleiden (1 Tim 2,9), aber die Definition von „Sittsamkeit“ ist von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Ähnlich verhält es sich mit den Massstäben dieser Welt, denen sich Christen nicht anpassen sollen (Röm 12,1-2; Jak 1,27b), aber nicht in jeder Kultur wird Weltlichkeit gleich betrachtet. Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde in den USA das Kartenspiel sowie das Filme anschauen als weltlich betrachtet. Heute sieht das kaum mehr jemand in christlichen Kreisen so. Es geht heute generell darum, dass Christen einen guten Einfluss haben sollen auf ihre Kultur, damit sie ihr „Licht“ leuchten lassen vor den Menschen (Mt 5,14-16). Die Situation entscheidet also, ob eine Aktivität weltlich ist oder nicht.

In einer sich verändernden Kultur müssen Christen nicht unnachgiebig an „Regeln“ festhalten, die in der Bibel nicht erwähnt werden. Auf der andern Seite ist es sicher falsch, zügellos zu werden und zu sagen: „Da meine Regeln nicht länger angewandt oder durchgesetzt werden können, muss ich nicht länger nach irgendwelchen Regeln leben!“ Vielmehr sollten wir uns fragen: „Welche biblischen Prinzipien können in dieser Situation, Kultur und Zeit angewandt werden und was verlangen sie von mir?“ Schliesslich können wir uns dazu entscheiden, nach diesen Prinzipien zu leben. Kulturen verändern sich, aber biblische Prinzipien ändern sich nie. Gewissenhafte Christen werden sich immer bemühen, geistliche Prinzipien in entsprechenden Situationen anzuwenden. Niemals werden sie fragen: „Was wurde vor fünfzig Jahren als weltlich betrachtet?“ Vielmehr fragen sie: „Was ist in der heutigen Zeit weltlich? Was immer es auch sein mag, ich muss oder will es meiden.“

Fünftens, selbst wenn sich die beschriebenen biblischen Verhältnisse in der heutigen Welt verändert haben, sind die Prinzipien, die in den biblischen Instruktionen liegen, dennoch gültig. Zum Beispiel befinden sich die meisten Menschen in einem Arbeitgeber-, Arbeitnehmerverhältnis, das mit dem Herren-, Sklavenverhältnis in biblischen Zeiten verglichen werden kann. Die Instruktionen für Herren-, Sklavenverhältnisse können also auf Arbeitgeber-, Arbeitnehmerverhältnisse übertragen werden. Selbst wenn bestimmte biblische Instruktionen überholt zu sein scheinen, finden sie dennoch ihre Anwendung in den Prinzipien, die darin liegen. Prinzipien, die von Respekt gegenüber andern sprechen. Prinzipien, die davon sprechen, wie wir unsere Pflichten erfüllen (und über das Minimum hinausgehen). Prinzipien, die uns lehren, anderen Gutes zu tun.

Die wichtige Bedeutung der biblischen Prinzipien für moralische Entscheidungen und Verhaltensweisen von heute kann nicht überbetont werden. Wir können sogar feststellen, dass die biblische Anleitung in Bezug auf moralische und ethische Verhaltensweisen oft durch Prinzipien kommuniziert wird und nicht durch Regeln!

Der moralische Standard Gottes beabsichtige von unterschiedlichen Gläubigen angewandt zu werden
Die moralischen Anforderungen des Neuen Testaments gelten den einzelnen Gläubigen. Jakobus zum Beispiel, sagte (Jak 1,27): „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst ... ist, sich selbst von der Welt unbefleckt zu halten.“ Folglich trägt jeder Gläubige die Verantwortung diesen Anforderungen nachzukommen.

Klar, das Neue Testament lehrt auch, dass Christen sich einander ermutigen und ermahnen sollen, dem Herrn treu zu dienen. Darüber hinaus gibt es Anweisungen wie mit Nachfolgern umgegangen werden soll, die öffentlich sündigen (siehe Jak 5,19-20; Gal 6,1-2; Mt 18,15-17; 1 Kor 5). Trotzdem bleibt jeder für sich selbst verantwortlich und wird letztlich für sein eigenes Verhalten vor Gott stehen.

Die Bedeutung dieser Tatsachen ist, dass jedes Kind Gottes die Pflicht und die Freiheit besitzt, selbst zu entscheiden, was für sein eigenes Leben moralisch vertretbar ist. Die Gemeinde muss mit offenen und offensichtlichen Sünden ihrer Mitglieder leben. Prediger und Lehrer werden in Bezug auf moralische Themen aufgerufen, Gottes Wort anzuwenden, die eine Gemeinde bewegen. Das Neue Testament gibt weder einer einzelnen Person noch einer Gruppe von Leitern, noch einer ganzen Gemeinde das Recht, Regeln in Bezug auf moralisches Verhalten aufzustellen, die über das hinausgehen was die Bibel lehrt.

Was bedeutet diese Tatsache für den einzelnen Gläubigen? Es unterstreicht den Willen Gottes, dass wir unser Bestes geben und unserer Berufung würdig wandeln (Eph 4,1). Gott hat uns alles gesagt, wie wir leben sollen und niemand hat das Recht zusätzliche Regeln aufzustellen, die nicht in der Bibel zu finden sind. Um Gott zu gefallen gilt es, die Schriften fleissig zu durchforschen, um anhand der verschiedenen Prinzipien herauszufinden, wie wir leben sollen.

Der moralische Standard Gottes soll eine Herausforderung sein
Wenn uns als Christen völlige Freiheit gegeben wäre zu entscheiden, was Gott von uns in unserem täglichen Leben verlangt, könnten wir geneigt sein, die Forderungen des Evangeliums zu unterschätzen. Das heisst, wenn wir unsere eigenen Vorlieben pflegen würden beim Studium der Bibel für unser Leben, wären wir geneigt, uns das Leben leicht zu machen.

Ein Weg, wie Menschen die Schriften missbrauchen, ist das Abschwächen von biblischen Lehren, indem sie folgende Aussagen machen:

• „Jesus sagte dem reichen jungen Mann, der reich war, dass er alles verkaufen solle, was er besitze und es den Armen geben solle. Anschliessend könne er ihm nachfolgen (Mt 19,16-22). Doch diese Aufforderung gelte nicht für uns. Wir brauchen nicht unseren Besitz verkaufen, um Jesus nachzufolgen.“

• „Jesus sagte, wenn wir nicht unsere nächsten Verwandten hassen, könnten wir nicht seine Jünger sein (Lk 14,25-27). Damit meinte Jesus nicht, dass unsere Liebe zu ihm so gross sein müsse.“

• „Jesus sagte, dass wir Gott mit unserem ganzen Herzen, unserer ganzen Seele und unserem ganzen Verstand lieben sollen (Mt 22,37). Aber es genüge auch, Gott ein wenig zu lieben mit dem, wer wir sind und was wir haben.“

• „Die ersten Jünger verkauften ihre Güter und teilten sie mit anderen Christen (Apg 2,44-45). Doch diesem Beispiel brauchen wir nicht zu folgen. Stattdessen genüge es, wenn wir jeweils am Tag des Herrn einen symbolischen Betrag einlegen.“

• „Die ersten Jünger verkündeten überall das Evangelium (Apg 8,4). Es ist offensichtlich, dass wir nicht dasselbe tun müssen.“

• „Paulus sagte, dass er nicht länger lebe, sondern Christus lebe in ihm (Gal 2,20). Wir brauchen jedoch nicht dieselbe radikale Haltung zu haben, um Gott zu gefallen.“

In diesen Aussagen stecken sicher auch gewisse Wahrheiten. Sicher, Gott verlangt von uns nicht für die Nachfolge Christi, dass wir alles verkaufen, was wir besitzen und es den Armen geben. Eine angemessene Erklärung und Anwendung von Apostelgeschichte 2 führt tatsächlich zur Schlussfolgerung, dass Christen unter normalen Umständen ihr Hab und Gut nicht verkaufen sollen und den Erlös mit andern teilen.

Doch die Lektion, die in allen diesen biblischen Aussagen steckt, darf nicht wegdiskutiert werden, sonst wird sie bedeutungslos. Es ist eine falsche Schlussfolgerung zu sagen, dass Gott von uns nicht verlangt, alles zu geben und alles aufzugeben als Christen. Die Lösung gegen die Versuchung alles abzuschwächen, ist möglicherweise dieses Prinzip: Christen sollen sich konsequent engagieren und sich Christus ganz hingeben. Wie diese Hingabe ausgedrückt wird mag von den gegebenen Umständen abhängen, aber die Forderung bleibt nach wie vor bestehen. Es kann sein, dass die Umstände uns wirklich dazu veranlassen, unsere Güter zu verkaufen um anderen Christen in Not helfen zu können. Unter besonderen Umständen kann das auch bedeuten, dass wir alles aufgeben was wir haben, um Christus nachzufolgen. Es kann sein, dass von uns Ehrlichkeit gefordert wird, wenn niemand anders ehrlich sein will. Es kann sein, dass unser Leben wegen unseres Glaubens eingefordert wird. Was auch immer verlangt wird von uns, um Gott zu gefallen sollten wir bereit sein, Herausforderungen anzunehmen, die von uns eine völlige Hingabe fordern.

Schlussfolgerung

Wenn wir lernen wollen, wie Gott unser christliches Leben sehen möchte, dann nehmen wir die Bibel zur Hand. Wenn wir Gottes Wort in unserem täglichen Leben anwenden wollen, dann entdecken wir, dass einige schwierige Fragen entstehen in Bezug auf die moralischen und ethischen Themen, denen wir begegnen. Diese Fragen können wie folgt beantwortet werden: (1) Anerkenne, dass die Bibel den moralischen Standard Gottes enthält. (2) Bestätige, dass die Anforderungen Gottes bedingungslos sind. (3) Suche nach Prinzipien und nicht nach Regeln, d. h. bemühe dich die moralischen und ethischen Prinzipien so anzuwenden, wie sie in Gottes Wort gelehrt werden. (4) Trage die Verantwortung, über moralische und ethische Fragen zu entscheiden. (5) Weise die Herausforderungen der Evangelien nicht von dir.

Wenn wir diese Anleitungen befolgen, dann sollten wir fähig sein, unser christliches Leben so zu gestalten, dass der Herr einmal sagen kann (Mt 25,23a): „Recht so, du guter und treuer Knecht.“