Begriffe1-07: Epaggelia – die göttliche Verheissung

Griechische Begriffe 1

7.  Epaggelia = Verheissung

von William Barclay

Im NT bedeutet das Substantiv epaggelia Verheissung, Versprechen und das Verb epaggellesthai verheissen, versprechen. Wir müssen mit dem klassischen Gebrauch dieser Wörter beginnen, was in diesem Fall ein besonders klares Licht auf ihre neutestamentliche Anwendung wirft.

1. Diese Wörter sind im klassischen Griechisch sehr gebräuchlich, ja man kann sie in Verbindung mit öffentlichen Ankündigungen fast als Fachausdrücke bezeichnen. Es sind die Wörter, die benutzt werden, um die öffentlichen Wettspiele und Götzenopfer anzukündigen. Sie werden gebraucht für Bekanntmachungen, die jeden betreffen.

2. Im klassischen Griechisch gibt es mehr als nur ein Wort für Verheissung. Es ist interessant und wichtig, dass die charakteristische Bedeutung von epaggelia ein Versprechen ist, das aus eigenem Willen, das freiwillig gegeben wird. Es ist kein Versprechen, das erzwungen oder erpresst wurde. Es ist nicht einmal ein Versprechen, das auf Grund gegenseitiger Annäherung und gegenseitigem Einverständnis gegeben wird; ein solches Versprechen heisst hyposchesis. Epaggelia jedoch ist das spezielle Wort für ein freiwillig gegebenes Versprechen.

3. Im klassischen Griechisch haftet den Wörtern epaggelia und epaggellesthai manchmal ein leichter Beigeschmack von Falschheit an. Zuweilen deuten sie ein Versprechen an, das in der Praxis nicht ausgeführt wird. Die Wörter haben manchmal mit einem politischen Propagandafeldzug zu tun. Sie beschreiben die Erklärung eines Wahlkandidaten, für den Fall seiner Wahl, Wahlversprechungen, die mehr als Köder für die Wähler gedacht sind, als dass ihre Einhaltung ernstlich beabsichtigt wäre.

Die Wörter haben manchmal etwas mit den Angeboten der Sophisten zu tun. Die Sophisten waren griechische Lehrer, die im 5. Jahrhundert vor Christus auftauchten und jedermann anboten, ihn gegen Entgelt etwas Beliebiges zu lehren. Die grossen Lehrer, wie Platon und Isokrates betrachteten diese Sophisten mit heftiger Abneigung. Sie glaubten, dass sie die Leute nur befähigten, so geschickt zu argumentieren, dass das Böse den Anschein von Vernünftigem bekam. Ausserdem meinten sie, die Sophisten seien nur auf Geld aus. Die sophistischen Lehrer gaben vor - epaggellesthai die Tugend zu lehren, aber das waren leere Erklärungen. Sie wetteiferten untereinander, in dem jeder angab, das beste und wirkungsvollste Lehrprogramm zu haben.

Manchmal beschreiben die Wörter die Versicherungen eines Liebenden. Im ersten Zauber und Überschwang der Liebe verspricht der Liebende alles, aber wenn es zur Ausführung kommen soll, offenbaren sich die Versprechungen oftmals als leere Worte. Epaggelia und epaggellesthai können also grossartige Versprechungen bezeichnen, die nur höchst unvollkommen ausgeführt werden.

Im NT werden die Wörter epaggelia und epaggellesthai durchweg in unveränderter Form für die Verheissungen Gottes gebraucht. Es gibt dort nur zwei Beispiele, in denen sie unzweideutig für menschliche Versprechungen benutzt werden. In Apg 23,21 erwarten die Juden das Versprechen des Militärkommandanten von Jerusalem, Paulus nach Cäsarea zu senden, damit sie ihn auf dem Weg dorthin umbringen könnten. In Mk 14,11 lesen wir von dem Versprechen der jüdischen Obersten, Judas für seine Mithilfe bei der Festnahme Jesu zu belohnen. Ausser diesen beiden Beispielen werden die Wörter im NT immer für die göttlichen Verheissungen gebraucht. Diesen Verheissungen Gottes wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit schenken. Die Verheissungen nahmen allerdings nicht erst im NT ihren Anfang.

1. Gottes Verheissungen waren im besonderen dem Volk Israel gegeben worden (Röm 9,4; Eph 2,12). Gott hatte Israel eine einzigartige Stellung unter den Nationen angeboten. Israel war in besonderer Weise sein auserwähltes Volk. Israels Tragödie war es, dass es seine Berufung missverstand. Das Volk Israel dachte, ihm seien besondere Ehren und Vorrechte verheissen worden, während Gott ihm in Wirklichkeit Dienste und Verantwortungen aufgetragen hatte. Gottes Angebot besteht immer in einer Aufgabe, die wir für ihn zu erfüllen haben.

2. Gottes Verheissung an das Volk Israel ging vor allem auf Abraham zurück. Abraham hatte eine dreifache Verheissung empfangen.

a)  Das Land der Verheissung (Apg 7,5; Hebr 11,9.13),

b)  die Verheissung eines Sohnes, zu einer Zeit, als das menschlich unmöglich war (Röm 9,9; Gal 4,23.28),

c)  die Verheissung, dass in ihm alle Völker der Erde gesegnet werden würden (Röm 4,13; Gal 3,16; Hebr 6,13). Abraham war der Auserwählte, durch den Heil und Segen in die Welt kommen sollte. Gott erwählte Abraham als einen, durch den er an der ganzen Menschheit handeln wollte. Gott sucht immer Menschen, durch die er handeln kann.

3. Es war die Verheissung Gottes, dass der Messias aus der Familie Davids kommen sollte (Apg 13,23.32). Das Wort Messias und das Wort Christus sind austauschbar. Messias ist der hebräische und Christus der griechische Ausdruck für den Gesalbten. Gott hatte einen König verheissen, durch den die Reiche dieser Welt unter Gottes Herrschaft gebracht werden sollten.

4. Alle alttestamentlichen Verheissungen finden ihre Erfüllung in Jesus Christus (Röm 15,8; 2 Kor 1,20; Gal 3,19.29). Durch das Kommen Jesu sagte Gott gleichsam zu den Menschen: „Hier ist der eine, in dem alle Verheissungen wahr werden.“ In Jesus begegnen sich das Wollen Gottes und das Hoffen der Menschen.

5. In Jesus ist nicht nur die Erfüllung der alten Verheissungen gegeben, in ihm haben wir noch bessere Verheissungen (Hebr 8,6; 9,15). Jesus ist nicht nur die Vollendung der Hoffnungen der Vergangenheit; er bringt den Menschen kostbarere und grössere Güter, als sie sich je erhoffen konnten. Jesus erfüllte nicht nur die alttestamentlichen Prophezeiungen und Ideale, sondern er übertraf sie. Er brachte das in die Welt, was aus der Vergangenheit hervorgewachsen war, aber gleichzeitig auch etwas vollkommen Neues. Wenn man erkennt, wie weit die Verheissung Gottes in die Vergangenheit zurückreicht, versteht man die Heilsgeschichte erst richtig. Wir mögen einem Kind irgendein Geschenk oder Vorrecht versprechen mit der Absicht, es ihm zu geben, wenn es dafür reif ist. Zum Beispiel mag ein Vater planen und sparen, um ein Kind später auf die Universität zu schicken. Während das Kind heranwächst, wird er es auf diese Zeit recht vorbereiten. Das ist genau das, was Gott mit dem Menschen tat. Er erwählte einen Mann und mit ihm eine Nation, aus der zur rechten Zeit sein Sohn hervorgehen würde. Mit der Erwählung einer Nation hat Gott aber nicht den Rest der Menschheit vernachlässigt. Clemens von Alexandrien sah in den heidnischen Philosophien ebenso eine Vorbereitung auf Christus, wie im Gesetz des Volkes Israel. Wenn wir es so betrachten, können wir sagen, dass die gesamte Geschichte den Menschen vorbereiten sollte, die Verheissung und das Angebot Gottes anzunehmen.

Im folgenden wollen wir nun sehen, was Gott seinem Volk in Christus verheissen hat.
1. Gott verhiess den Menschen die Gabe des Heiligen Geistes (Lk 24,29; Apg 1,4; 2,23; Eph 1,15). Durch den Heiligen Geist handelt Gott im Leben und Denken der Menschen. Der Heilige Geist schenkt den Menschen Kraft und Lebensfülle, Vollmacht und Gedankenklarheit, Erleuchtung und Überzeugungskraft in der Rede.

2. Mit der Gabe des Heiligen Geistes verhiess Gott das Geschenk der Vergebung (Apg 2,38.39). Vergebung ist nicht einfach das Erlassen einer Strafe, die uns hätte treffen sollen. Vergebung ist im wesentlichen die Wiederherstellung einer verlorenen Beziehung. Nicht Gott hatte sich dem Menschen entfremdet, sondern der Mensch hatte sich von Gott entfernt. Durch die Tat Christi können die Menschen Freunde Gottes werden.

3. Gott verheisst den Menschen ewiges Leben, Leben in der Zeit und Leben in Ewigkeit (1 Tim 4,8; Tit 1,2; 2 Tim 1,1; Jak 1,12; 1 Joh 2,25). Ewiges Leben ist nicht einfach Leben, das ewig dauert. Es ist wahr, dass im NT immer wieder auf die Verheissung der Auferstehung von den Toten hingewiesen wird (Apg. 26,6). Aber das Wesen des ewigen Lebens ist nicht einfach Fortdauer, sondern seine Beschaffenheit. Es wird erzählt, dass einmal ein ermatteter, entmutigter Soldat zu Julius Caesar kam, mit der Bitte, seinem Leben ein Ende machen zu dürfen. Caesar blickte auf die niedergedrückte Erscheinung und antwortete: „Mann, hast Du überhaupt je gelebt?“

Ewiges Leben ist etwas, was hier in dieser Zeit anfangen kann. Mit dem ewigen Leben bricht etwas aus dem Bereich der Ewigkeit in den Bereich der Zeit ein, etwas von der göttlichen Lebensart tritt damit in das menschliche Leben. Sobald ein Mensch das Leben mit Christus erwählt, beginnt der Himmel auf Erden. Das ist die Verheissung Gottes. In die Mühen und Enttäuschungen der Menschen hinein kommen der Friede und die Macht Gottes.

4. Gott verheisst seine Herrschaft, sein Reich denen, die ihn lieben (Jak 2,5). Die Menschen haben oft die Vorstellung, dass Gott sie zu einem schrecklichen, düsteren Leben ruft, in dem sie alle Wünsche aufgeben und ein hartes, strenges und finsteres Los auf sich nehmen müssen. Es ist wohl wahr, dass das Leben mit Christus Unterordnung und Zucht verlangt, aber der Zweck dieser Hingabe und Disziplin ist die Erlangung königlicher Macht und Herrlichkeit.

5. Gott verheisst den Menschen das Wiederkommen seines Sohnes (2 Petr 3,4.9). Das bedeutet, dass Gott die Vollendung der Menschheitsgeschichte garantiert. Die grössten Denker zur Zeit des Neuen Testaments, die Stoiker, stellten sich die Geschichte als einen Kreislauf vor. Sie sagten, dass alle paar tausend Jahre eine Feuersbrunst alles verschlingt und derselbe Vorgang von neuem beginnt. Für sie war die Geschichte eine Tretmühle, nicht ein Fortschreiten auf ein Ziel hin. Wenn man die Wiederkunft Christi aller zeitbedingten Vorstellungen entkleidet, dann bleibt die eine bedeutungsvolle Wahrheit bestehen, dass die Geschichte mit dem Triumph Christi ihre Erfüllung finden wird.

6. Gott verheisst seinem Volk Ruhe (Hebr 4,1). Jemand wurde gefragt, was er als charakter-istisches Merkmal unserer modernen Welt betrachte. Seine Antwort war: „Müde Augen.“ Das Leben ist in jeder Hinsicht ein Kampf; das Leben als Christ beansprucht den ganzen Menschen. Das NT beschreibt es als eine Schlacht, einen Feldzug, einen Wettlauf, als dauernde Prüfung. Aber danach kommt die Ruhe Gottes; diese Ruhe wird niemand recht geniessen können, der nicht zuvor sein Bestes getan hat.

Wir müssen das Wesen der Verheissung, die den Christen gegeben ist, noch weiter betrachten.
1. Es ist eine Verheissung Gottes (Lk 24,49; Apg 1,4). Hier finden wir etwas, das an eine Gebrauchsmöglichkeit dieser Worte im klassischen Griechisch anknüpft. Dort haben wir gesehen, dass die Worte manchmal für ein Versprechen ohne nachfolgende Taten stehen. Auch im NT ist an diese Möglichkeit gedacht. In 1 Tim 2,10 werden die christlichen Frauen ermahnt, ihrem Bekenntnis gemäss zu leben. In 1 Tim 6,20-21 ist von der wertlosen, leeren Erkenntnis die Rede, welche die Weltweisen bekennen. 2 Petr 2,19 spricht von denen, die eine illusorische Freiheit verheissen, während sie selbst Sklaven des Verderbens sind. Dagegen betont das NT immer wieder die Zuverlässigkeit der Verheissungen Gottes.

a)  Sie sind wahrhaftig, weil Gott wahrhaftig ist. „Er ist treu, der die Verheissung gegeben hat“ (Hebr 10,23). Gott kann nicht lügen (Tit 1,2). Gott garantierte sogar die Verheissung, indem er bei sich selbst schwur (Hebr 6,17). Die Verheissungen Gottes sind durch seine Wahrhaftigkeit garantiert.

b)  Sie sind wahr, weil Gott allmächtig ist. Gott ist fähig, seine Versprechungen zu erfüllen (Röm 4,21). Die Verheissungen Gottes sind also durch seine Allmacht garantiert. Die Versprechungen der Menschen können leere Zusagen sein, aber auf Gottes Verheissungen kann man sich völlig verlassen, denn Gottes Wahrhaftigkeit kann nicht lügen und seine Allmacht lässt nichts scheitern.

2. Die Verheissungen Gottes sind auf Gnade gegründet und nicht auf das Gesetz. Wir haben gesehen, dass epaggelia im klassischen Griechisch ein Versprechen bedeutet, das freiwillig gegeben wurde. Die Verheissungen Gottes sind nicht von menschlichen Vorzügen oder menschlichem Wirken abhängig, sie gründen sich ausschliesslich auf Gottes Grossmut. Gott gab seine Verheissungen nicht auf Grund menschlicher Tugenden, sondern aus reiner Barmherzigkeit. Dahinter steht nicht menschliches Verdienst, sondern die Liebe Gottes.

3. Die Verheissungen Gottes kann man daher nur durch Glauben in Besitz nehmen (Röm 4,14.20; Gal 3,24), man kann sie nicht erwerben, man muss sie annehmen, sich schenken lassen. Der Mensch muss seinen Stolz aufgeben, der sich Gottes Verheissungen durch Werke verdienen möchte; er muss die Demut haben, die immer bereit ist, sich als Gottes Schuldner zu sehen und Gottes Verheissungen im Glauben anzunehmen.

4. Dennoch sind die Verheissungen Gottes zugleich Beweggrund für die Besserung der Menschen. Weil der Mensch diese Verheissungen hat, will er sich reinigen (2 Kor 7,1). Kein Mensch, der liebt und dessen Liebe erwidert wird, achtet sich ihrer wert. Jeder Mensch, der geliebt wird, weiss sehr gut, dass er sein ganzes Leben lang danach trachten muss, sich der Liebe würdig zu zeigen, die er nie verdient. Genauso ist es mit uns und Gott. Wir können die Verheissungen nie verdienen, denn Gott hat sie uns in seiner grossmütigen Liebe geschenkt, aber trotzdem versuchen wir ein Leben lang, uns dieser Liebe würdig zu erweisen.

Dies bringt uns endlich zu dem, was aufzubringen ist, um uns voll und ganz an den Verheissungen Gottes erfreuen zu können.
1. Wir bringen Geduld auf. Durch Geduld erlangte Jesus die Verheissung und nur so können wir sie erlangen (Hebr 6,12.15). Wenn wir laufen, dürfen wir nicht müde werden; wenn wir ausharren bis ans Ende; lernen wir warten. Durch Geduld gewinnen wir die Fähigkeit zu tragen und erlangen am Ende die Verheissung.

2. Wir bewahren Treue. Durch höchste Beständigkeit, durch ihre unwandelbare Treue gewannen die Märtyrer die Verheissungen (Hebr 11,33). Wer den Glauben bewahrt bis in den Tod, dem wird die Krone des Lebens gegeben.

3. Wir sind Gehorsam. Erst nachdem wir den Willen Gottes getan haben, empfangen wir die Verheissungen (Hebr 10,36). Wie in so vielen Dingen, so ist es auch hier, Gott verschenkt seine Gaben, aber er verschleudert sie nicht. Gott bietet in Grossmut seine Verheissungen umsonst an. Doch nur durch Geduld, Treue und Gehorsam können wir ihre ganze Fülle erlangen.