Schlüssel-06: Leidender Gottesknecht (Jes 53)

Dreizehn biblische Schlüsseltexte

 

 Einleitung

In der Apostelgeschichte 8 lesen wir von der Begegnung zwischen einem äthiopischen Hofbeamten und dem Evangelisten Philippus. Der Hofbeamte war ein gottesfürchtiger Mann, der nach Jerusalem reiste, um den Tempel zu sehen und dort den allmächtigen Gott anzubeten. Auf dem Markt fand er vermutlich auch eine der wenigen Kopien einer Jesaja Rolle.

Auf dem Rückweg nach Äthiopien las er laut aus seiner neu erworbenen Schriftrolle vor (Jes 53,7-8): „Er wurde bedrängt, und er ist gedemütigt worden, seinen Mund aber hat er nicht aufgetan wie ein Lamm, das zur Schlachtung gebracht wird, und wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt. Und seinen Mund hat er nicht aufgetan. Aus Drangsal und Gericht wurde er herausgenommen, doch sein Geschick - wen kümmert es? Denn aus dem Land der Lebenden wurde er herausgeschnitten, der Schuld meines Volks wegen hat es ihn getroffen.“

Paralleltext zum Vergleich in Apg 8,32-33: „Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt; und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde aufgehoben das Urteil gegen ihn; doch von seinem Geschlecht, wer wird davon erzählen? Denn weggenommen von der Erde wird sein Leben.“ Als Philippus sich dem königlichen Wagen näherte, fragte er den Hofbeamten, ob er auch verstehe, was er lese. Der Mann reagierte positiv auf die Frage des Philippus und lud ihn ein, auf seinem Wagen Platz zu nehmen. Dann fragte er ihn (Apg 8,34): „Ich bitte dich, sage mir, von wem spricht hier der Prophet? Von sich oder von einem andern?“ In der Apostelgeschichte 8 lesen wir, dass Philippus ihm diese Stelle erklärte und ihm das Evangelium von Jesus verkündete (Apg 8,35).

Wie ist es möglich, dass ein alttestamentlicher Prophet ca. 700 Jahre bevor Jesus geboren wurde, über Jesu Tod schreiben konnte? – Die nähere Betrachtung von Jesaja 53 wird uns diese Frage beantworten!

 

 I.   Geschichtlicher Hintergrund

Nach dem Tod Davids fiel der Thron Israels seinem Sohn Salomo zu (1Kön 1+2). Während dieser Zeit blühte die Nation noch mehr auf und wurde sehr mächtig. Doch gegen Ende der Herrschaft Salomos liess es Gott zu, dass Israel immer mehr von Feinden bedrängt wurde. Dies lag daran, dass Salomo sich durch die vielen fremdländischen Frauen und ihren Götzen gegenüber Gott versündigte (1Kön 11). Doch als Salomos Sohn an die Macht kam, traf er eine folgenschwere Entscheidung und spaltete damit das Land – in ein Nordreich (mit den zehn Stämmen) und in ein Südreich (mit Juda, Benjamin und den Leviten). Das Nordreich war bekannt als Israel und das Südreich als Juda. Beide Reiche versündigten sich damit, dass sie den Herrn und seine Gebote verliessen und sich fremden Göttern zuwandten. Obschon der Herr ihnen immer wieder Propheten sandte, die sie warnen sollten, zum Herrn zurückzukehren hörten sie nicht auf sie, sondern misshandelten sie.

Auch Jesaja war einer der Propheten, der das Volk vor schlimmen Gerichten warnte, wenn es ihren Götzendienst fortsetzte und nicht mit ungeteiltem Herzen sich dem lebendigen Gott zuwandte (Jes 1,1). Jesaja predigte über ein halbes Jahrhundert (840-685 v. Chr.) zu den Menschen im Südreich doch das Volk wollte nicht hören. 722/1 v. Chr. eroberte Assyrien das Nordreich und führte es für immer ins Exil. Statt von ihrer Schwester im Norden gewarnt zu sein (Ez 23) war auch das Südreich widerspenstig und hörte nicht auf die Worte der Propheten. Schliesslich geschah die grösste Tragödie in Jerusalem, mit der keiner gerechnet hatte. 586 v. Chr. wurde die Stadt von den Babyloniern eingenommen und der Tempel zerstört. Viele Stadtbewohner wurden getötet und eine grosse Anzahl von ihnen wurde in die Verbannung geführt.

 

 II.   Der leidende Knecht im Jesaja

Ab Kapitel 40 vom Buch Jesaja lesen wir von einer grossen Wendung. Statt Verurteilung, lässt der Herr dem Volk Trost verkündigen (Jes 40,1): „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott ...“ Der Rest des Buches behält diesen Ton des Trostes und der Erlösung. Dabei sticht das Kapitel 53 besonders hervor, das in seiner Art einzigartig ist. Viele trostreiche Versprechungen beziehen sich auf den kommenden Knecht Gottes, der Israel wieder herstellen sollte. Dieser Knecht ist die Hauptperson in mindestens vier Abschnitten im Jesaja:

(1) Der messianische Gottesknecht (Jesaja 42,1-4).

(2) Der Diener des Herrn (Jesaja 49,1-13).

(3) Zuversicht in den allmächtigen Gott (Jesaja 50,4-11).

(4) Der leidende Gottesknecht (Jesaja 52,13 - 53,12; dieser letzte Abschnitt enthält den Teil, aus dem der äthiopische Hofbeamte las, in Apg. 8).

Besonders in Kapitel 53 wird die Tragik des Gottesknechts dargestellt. Obschon er von Gott gesandt war, wurde er von seinen Landsleuten abgelehnt. Er wird beschrieben als einer, der völlig verachtet sein wird, verlassen von seinen Mitmenschen. Doch durch all seine Leiden soll etwas Wunderbares geschehen. Denn er wird nicht für sich selbst leiden, sondern die Leiden anderer tragen, d. h. er wird für die Sünden der Menschen leiden. Damit wird sich der Heilsplan Gottes für die ganze Menschheit erfüllen. Weil er dies mit sich geschehen lässt und sich damit als gehorsamer Diener Gottes erweist, soll er zur gegebenen Zeit erhöht werden.

Die neutestamentlichen Schreiber beziehen Jesaja 53 alle einstimmig auf Jesus Christus und seine Leiden. Dieses Buch wurde ca. 700 Jahre vor Christus geschrieben. Vom neutestamentlichen Blickwinkel betrachtet wird Israel nicht durch militärische Macht und politische Herrschaft wieder hergestellt, sondern allein durch den leidenden Knecht; den Sohn Gottes. Dieser Knecht, von dem die Rede ist im Jesaja, wurde nicht nur der Erlöser für Israel, sondern auch für alle Nationen auf Erden. Die Erlösung, die er brachte, betraf physische Heilung als auch geistliche Rettung. Das Volk Israel war nicht sicher, wen sie als diesen Knecht identifizieren sollten, doch für die neutestamentlichen Schreiber gab es keinen Zweifel, dass das nur Jesus Christus sein konnte. Zum Beispiel: Als Jesus die Schwiegermutter des Petrus und andere Menschen heilte, heisst es abschliessend (Mt 8,14-17): „So sollte in Erfüllung gehen, was durch den Propheten Jesaja gesagt ist: Er nahm unsere Schwachheit auf sich, und unsere Krankheiten trug er.“ (Das ist ein Zitat aus Jesaja 53,4.) Auch Johannes zitiert aus Jesaja 53,1 und weist damit auf die Juden zur Zeit Jesu die seine Zeichen und Wunder gesehen hatten und auch nicht glaubten (Joh 12,38b-41): „Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? Und der Arm des Herrn, wem ist er offenbart worden?“ Petrus beruft alle Gläubigen, den Leiden Christi nachzufolgen, indem er sagt (1Petr 2,21): „Dazu seid ihr berufen worden, weil auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vermächtnis hinterlassen hat, damit ihr seinen Spuren folgt“ (anschliessend zitiert er aus Jesaja 53 mehrere Passagen). Wir sehen also, Jesaja 53 ist ein wichtiger Schlüsseltext in der Bibel!

Die Propheten aus dem AT sprachen klar und eindeutig vom leidenden Gottesknecht der kommen wird; das ist Jesus Christus.

 

 III. Der leidende Knecht (Jesaja 53)

Verse 1-3: Seine Ablehnung.
Jesaja 53 sagt voraus, dass Jesus abgelehnt wird. Die ersten drei Verse betreffen die Ablehnung des leidenden Knechts. Im Vers 1 wird eine rhetorische Frage gestellt: „Wer hat unserer Botschaft geglaubt?“ Die Antwort ist: „Nicht viele!“ Paulus zitiert dieselbe Jesaja Stelle und erklärt, dass nur eine Minderheit der Juden dem Evangelium geglaubt hat (Röm 10,16). Im Vers 2 wird gesagt, dass der kommende Knecht weder stattlich noch schön sein werde (dies kann sich auch auf die inneren Werte beziehen, indem seine Umwelt ihn oberflächlich aburteilt und nichts Spezielles in ihm sieht.) In Vers 3 heisst es, dass der Messias von den Menschen verachtet und gemieden sein wird. Genau das ist das Bild, das uns das Neue Testament über Jesus offenbart. Er wurde von der Mehrheit der Juden abgelehnt.

Diese „Ablehnung“ ist im Johannesevangelium das Hauptthema, wie wir schon in der Einleitung des ersten Kapitels lesen können (Joh 1,9-11): „Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der zur Welt kommt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Diese Ablehnung ist bis ins heutige Zeitalter geblieben! Wie damals, zieht Jesus auch heute keine ichbezogenen und eigensüchtigen Menschen an. Denn er befriedigt nicht die Machtgierigen, die Rachsüchtigen und die Heldenverehrer usw. Die Mehrheit der Menschen lehnt auch heute noch Jesus ab. Der leidende Gottesknecht ist heute noch genauso unpopulär wie damals vor 2000 Jahren.

 

Verse 4-6: Seine stellvertretenden Leiden.
Im Jesaja 53 wird auch vorausgesagt, dass Jesus für andere leiden wird. Besonders in den Versen 4-6 wird das betont. Der aufmerksame Leser stellt fest, dass die folgenden Worte immer wieder auftauchen: „unser, unserer, unsere, unseres, wir.“ Durch den Tod am Kreuz litt Jesus, um unserer Sünden willen! Das Neue Testament spricht an verschiedenen Stellen von den Leiden Christi, die um der Sünden der Welt willen stattfanden.

1. Petrus 2,24: „Er selbst hat unsere Sünden getragen am eigenen Leib ans Holz hinauf, damit wir den Sünden absterben und der Gerechtigkeit leben.“

1. Johannes 2,1-2: „Er [Jesus] ist die Sühne für unsere Sünden ...“

1. Johannes 4,9-11: Gott hat seinen Sohn in diese Welt gesandt „als Sühne für unsere Sünden ...“

Römer 5,6-9: „Denn Christus ist, als wir noch schwach waren, für die damals noch Gottlosen gestorben ...“

Das ist die Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus im Neuen Testament. Jesus Christus litt und starb für unsere Sünden am Kreuz. Um diesen Punkt im Jesaja 53 zu betonen, könnte man die Worte in die erste Person Einzahl setzen und dann die Verse folgendermassen lesen: „Er hat meinen Kummer und meine Sorgen [über meine Vergehen] getragen.“ „Er wurde blutig geschlagen, weil ich Gott die Treue gebrochen habe; wegen meiner Übertretungen wurde er durchbohrt.“ „Er wurde bestraft wegen mir, damit ich in IHM Frieden mit Gott finden kann.“ „Durch seine Wunden bin ich geheilt worden.“

Verse 7-9: Seine Misshandlung.
Zusätzlich sagt der Prophet Jesaja voraus, dass der Messias zu Unrecht leiden werde. Dabei benutzt er die Vergangenheitsform, als ob dies alles bereits geschehen sei. Das ist typisch für die prophetische Sprache, die zurückblickt auf das, was Gott verheissen hat. Jesus liess sich misshandeln. Er wurde widerrechtlich verhaftet und grausam gefoltert. Er wurde unterdrückt und gequält bis zum Tod. Obschon er unschuldig war, protestierte er nicht. Jesus war weder gewalttätig noch kam jemals ein böses Wort aus seinem Mund. Man hörte auch keine Klagen von ihm, sondern er liess sich demütigen, ohne sich zu wehren. Obschon Jesus alles wahrnahm, was geschah, ertrug er alles widerspruchlos, wie ein Schaf, das nichtsahnend zur Schlachtbank geführt wird. Im Matthäusevangelium lesen wir dazu die Worte (Mt 27,12-14): „Solange die Hohen Priester und Schriftgelehrten ihre Anklagen vorbrachten, antwortete er nichts. Da sagte Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, was sie alles gegen dich vorbringen? Und er antwortete ihm auf keine einzige Frage, so dass sich der Statthalter sehr wunderte.“

Selbst Pilatus konnte keine Schuld an Jesus erkennen (Lk 23,4). Dies bestätigte er später auch vor den Hohen Priestern, den führenden Männern und dem Volk. Er fragte sie: „Was hat er denn böses getan? Ich habe keine Schuld an ihm gefunden, die den Tod verdient hätte“ (Lk 23,22). Zum Zeichen wusch er seine Hände in Unschuld (Ps 26,6; Mt 27,24). Doch schliesslich gab er unter dem Druck des Volkes nach und übergab Jesus zur Kreuzigung. Wenn wir all diese Gemeinheiten lesen, dann sind wir ergriffen von diesem grossen Unrecht, das Jesus angetan wurde. Und das ist genau der Punkt! Das Heil hat nicht mit Gerechtigkeit zu tun, sondern mit Gnade. Gerechtigkeit würde fordern, dass wir alle für unsere eigenen Sünden leiden. Doch das Kreuz Christi macht es möglich, dass wir aus Gnade gerettet werden können. Jesus war bereit, unsere Strafe auf sich zu nehmen, obwohl er sie nicht verdiente. Das weissagte Jesaja in seinem Kapitel 53.

Verse 10-12: Seine Verherrlichung.
Gemäss Jesaja dient das Leiden Jesu ihm zur Verherrlichung. Weshalb gefiel es Gott, seinen Knecht leiden zu sehen? Nicht, weil der Herr Freude daran hat, wenn Unschuldige gequält werden! Nicht, weil der Knecht gestraft werden musste! Nicht, weil der Herr mit seinem Knecht unzufrieden war! Vielmehr freut sich der Herr über den Gehorsam seines Sohnes, der mit seinen Leiden den Heilsplan Gottes für die Menschen erfüllte. Für diese Opfertat wird Jesus bei Gott verherrlicht. Durch diese Opfertat werden aber auch alle, die an Jesus glauben zur ewigen Herrlichkeit geführt.

Jesus erhält die Ehre, die sonst nur mächtige Herrscher erhalten (V. 12). Obschon er aus dem Land der Lebenden auf Erden herausgeschnitten wird (V. 8), erhält er in Zukunft eine geistige Nachkommenschaft, die in Ewigkeit mit ihm zusammenleben wird (V. 10b): Philipper 2,9-11. Es besteht kein Zweifel, dass die Worte Jesajas schattenhaft auf das hinwiesen, was Jesus am Kreuz erlitten hat. Doch diese Worte spiegeln nicht nur das wieder, was Jesus erdulden musste, sondern auch das, was er mit seinem Opfer für uns bewirkte.

 

 Schlussfolgerungen

Jesaja sprach also nicht in erster Linie von sich selbst, als er über den leidenden Gottesknecht weissagte. Nur Jesus Christus wird diesen Eigenschaften des leidenden Gottesknechts gerecht! Es war Gottes Heilsplan, dass unter seinem erwählten Volk ein Knecht aufstehen würde, der nicht durch einen Krieg die Menschheit erobern sollte, sondern durch seine Leiden! (Offb 5,4-6). (Hail3;434). Daran erkennen wir, dass bei Gott alles völlig anders läuft als bei uns Menschen! Deshalb antwortete Jesus dem Pilatus (Joh 18,36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, würden meine Diener dafür kämpfen, dass ich nicht an die Juden ausgeliefert werde. Nun aber ist mein Reich nicht von hier.“ Durch seine Leiden am Kreuz hat Jesus für uns den ewigen Sieg errungen!

Bei Gott gilt das Prinzip: Ohne Kreuz keine Krone! Wer dieses göttliche Prinzip einmal verstanden hat, der weiss, dass Leiden oft der Weg zum Sieg sind. Paulus ermutigt seinen jungen Mitarbeiter Timotheus mit den Worten (2Tim 1,8): „... ertrage für das Evangelium Mühsal und Plage in der Kraft Gottes, der uns errettet ...“ In unserem Leben geht es aber nicht immer direkt um das Evangelium, trotzdem sollen wir bereit sein zu leiden, ohne zu murren, denn Gott sieht alles und ER weiss, dass jedes Leiden uns zum Besten dienen wird. Es ist falsch anzunehmen, dass Gott uns strafen will mit Leiden! Aus den Leiden Jesu lernen wir, dass Gott mit uns allen ein höheres Ziel verfolgt. Vertrauen wir dem Herrn unser Leben an und freuen uns selbst über die Leiden des Lebens, denn damit führt der allmächtige Gott zur ewigen Herrlichkeit! (Hebräer 12,4-7).