Begriffe2-00b: Einleitung B – Der Feind in unserer Seele

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Wir haben gesehen, was Paulus unter Seele - psyche und unter Geist pneuma verstand; nun wollen wir uns dem dritten Teil des Menschen zuwenden, dem Körper oder soma. Paulus spricht auf dreierlei Weise vom Körper.

1. Er spricht vom Körper in einem völlig neutralen Sinn, wobei er nur den physischen Leib meint, den jeder Mensch besitzt. Er spricht von Menschen, die durch sexuelle Ausschreitungen und Perversität ihren Körper entehren (Röm 1,24); er erzählt von Abraham, der wusste, dass sein Körper die physische Kraft verloren hatte (Röm 4,19). Zweimal gebraucht er den Körper und seine Glieder als Symbol für die Gemeinde, den Leib Christi (Röm 12,4-5; 1 Kor 12,12-27). In diesen Versen wird das Wort Körper nur im physischen Sinne gebraucht, ohne Wertung in irgendeiner Richtung.

2. Paulus weist auf die Unvollkommenheit und die Gefährlichkeit des Körpers hin. Er spricht von dem sündigen Leib (Röm. 6,6), dem sterblichen Leib (Röm 6,12; 8,11), einem dem Tode verfallenen Leib (Röm 7,24), dem wegen der Sünde toten Leib (Röm 8,10). Er sagt, der Christ unterwerfe den Leib und töte die Werke des Leibes (Röm 8,13). Hier wird der Leib als der Teil des Menschen gesehen, der zum Tod und Verfall verurteilt ist, und es wird angedeutet, dass der Leib zum grossen Teil verantwortlich ist für die Sünde des Menschen und dass es in Verbindung mit dem Leib Dinge gibt, die der Christ aus seinem Leben entfernen muss.

3. Paulus folgert trotzdem niemals, dass der Körper an sich unverbesserlich sei und nur zerstört werden könne. Auch der Leib kann erlöst (Röm 8,23) und umgewandelt werden (Phil 3,21). Der Leib kann Gott als Opfer dargebracht werden (Röm. 12,1), und mit ihm und in ihm kann der Mensch Gott verherrlichen (1 Kor 6,20; Phil 1,20). Bei dem Christen ist der Leib der Tempel des heiligen Geistes (1 Kor 6,19). Diese Stellen zeigen, dass für Paulus der Körper seinem Wesen nach nicht böse ist. Seiner Natur nach wird er sterben, aber er hat grosse Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen, je nachdem, ob die Sünde in ihm herrscht oder ob er Gott geweiht ist. Für Paulus ist der Körper selbst weder gut noch böse. Es kommt darauf an, welche Kraft ihn leitet.

Wir kommen nun zu dem viel schwierigeren Wort sarx - das Fleisch. Es ist ein Wort, das in allen Paulusbriefen, aber besonders oft in den Briefen an die Römer, Galater und Korinther erscheint. Wir haben im Deutschen keinen treffenden Begriff dafür, denn es ist ein Wort, das sich nicht einfach scharf definieren lässt, dessen Bedeutung wir vielmehr langsam ertasten müssen. Es bezeichnet jedoch gewisse Tatsachen der menschlichen Situation, die einen Teil der grundlegenden Erfahrungen im Leben eines jeden Menschen bilden. Versuchen wir deshalb seinen Sinn zu ergründen, und beginnen wir mit zwei grundlegenden Bedeutungen.

1. Sarx ist der Todfeind von pneuma, der Gegenspieler des Geistes im Kampf der Seele. Die beiden sind die sich bekämpfenden Mächte des menschlichen Wesens, sie stehen wider-einander, wie Paulus sagt (Gal 5,17).

2. Sarx bedeutet weit mehr als nur Leib. Nach Paulus schliessen die Sünden des Fleisches - sarx viel mehr ein als nur die Sünden, die mit dem Leib direkt zu tun haben. Er beginnt die Aufzählung der Werke des Fleisches zwar mit Unzucht, Unreinigkeit und Ausschweifung, aber er fährt fort mit Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn und Spaltungsgeist, die keineswegs Sünden des Leibes sind. Paulus benutzt den Begriff Sünden des Fleisches viel umfassender, als wir das heute im Allgemeinen tun. Man kann sogar sagen, dass die Verfehlungen, die allgemein darunter verstanden werden, nicht einmal die hauptsächlichen und schwersten Sünden des Fleisches sind.

3. Paulus gebraucht sarx, um einen Zustand zu kennzeichnen. Er vergleicht die Beschneidung des Fleisches mit der Beschneidung des Herzens (Röm 2,28). Er spricht von einem Dorn im Fleisch und meint damit ein körperliches Leiden (Gal 4,13). Manchmal benutzt Paulus sarx, wo er genauso gut soma sagen könnte, wo also die Bedeutung rein physisch ist, ohne Sonderbedeutung oder Sinnerweiterung.

4. Paulus gebraucht sarx in Redewendungen, die wir im Deutschen etwa mit „menschlich gesprochen“ oder „vom menschlichen Standpunkt gesehen“ wiedergeben würden. So war Jesus, fleischlich gesehen, der Nachkomme Davids (Röm 1,13). Abraham ist der fleischliche Stammvater der Juden (Röm 4,1). Jesus ist ein Jude dem Fleische nach (Röm 9,5). Diese Anwendungsweise von sarx deutet an, dass noch mehr festzustellen wäre, dass das Gesagte vom menschlichen Standpunkt aus gesehen zwar stimmt, aber natürlich nicht die ganze Wahrheit ist.

5. Paulus gebraucht sarx in Zusammenhängen, in denen wir etwa sagen würden: „um mit menschlichen Massstäben zu messen.“ Nicht viele Weise dem Fleische nach sind berufen (1 Kor 1,26), nicht viele also, die in den Augen des gewöhnlichen Menschen weise sind. Paulus verteidigt sich in seinem Brief an die Korinther gegen die mögliche Beschuldigung, sein Vorhaben sei fleischlich (2 Kor 1,17). Er will bekräftigen, dass er nicht wie ein Weltmensch plant, der bereit ist, seine Vorsätze zu ändern, wenn es zweckdienlich erscheint. Er schreibt den Korinthern, dass er keinen Menschen mehr nach fleischlicher Weise kennt, nicht einmal Christus (2 Kor 5,16). In der Guten Nachricht lesen wir an dieser Stelle: „Darum beurteile ich von jetzt an niemand mehr nach menschlichen Massstäben. Auch Christus nicht, den ich einst so beurteilt habe.“ In diesem Zusammenhang bedeutet Fleisch soviel wie „menschlicher Gesichtspunkt“, „menschlicher Standpunkt“, „menschliche Bewertung“.

6. Paulus gebraucht sarx auch im Sinne von Menschheit und Menschsein. Der alte Ausdruck: „Kein Fleisch kann durch des Gesetzes Werke gerecht sein vor Gott“ (Röm 3,20; Gal 2,16; 1 Kor 1,9) ist eine typische und gebräuchliche jüdische Redewendung. Heute sagt man „kein Mensch ...“ In Römer 8,3 heisst es: „... er [Gott] sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches.“ Hier bedeutet der Ausdruck Fleisch, dass Christus unser Menschsein auf sich nahm. Die hebräische Sprache zieht ein Konkretum immer einem Abstraktum vor, deshalb wird an Stelle von Menschsein von Fleisch gesprochen.

7. Wir kommen nun zu dem spezifisch paulinischen Gebrauch des Wortes sarx. Nach der Vorstellung des Apostels ist sarx - Fleisch der grösste Feind des Geistes.

a. Man kann sagen, dass das Leben im Fleisch das genaue Gegenteil des Christenlebens ist. „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich“ (Röm 8,9-12). Der Ungläubige lebt im Fleisch. Paulus erinnert sich an die Zeit, als er noch fleischlich gesinnt war (Röm 7,5). Der Christ hat sein Fleisch samt seinen Lüsten und Begierden gekreuzigt (Gal 5,24). Das Leben im Fleisch ist das genaue Gegenteil vom Leben im Geist, vom Leben in Christus, vom Christsein.

b. Im Fleisch zu leben, bedeutet im weiteren Sinne, unter die Sünde verkauft zu sein (Röm 7,14). Vom Fleisch regiert werden und Knecht der Sünde sein ist dasselbe.

c. Das Fleisch ist der grosse Feind des guten und christlichen Lebens. Das Fleisch - sarx schwächt das Gesetz (Röm 8,3). Das Fleisch ist also verantwortlich für die immer wiederkehrende Situation, in der der Mensch genau weiss, was er tun soll und es trotzdem nicht tun kann. Im Fleisch wohnt nichts Gutes (Röm 7,18). Nehmen wir diesen Satz als eine allgemeine Feststellung, dann lässt sich daraus der Unterschied zwischen soma und sarx, zwischen Körper und Fleisch ableiten. Der Körper - soma kann ein Werkzeug des Dienens und der Verherrlichung Gottes werden, das Fleisch - sarx nicht. Der Leib - soma kann gereinigt und sogar verherrlicht werden, das Fleisch - sarx aber muss verbannt und mit der Wurzel ausgerissen werden. Mit dem Fleisch dient ein Mensch dem Gesetz der Sünde (Röm 7,25), und das Fleisch macht ihn unfähig, die Lehre in sich aufzunehmen, die er doch eigentlich verstehen müsste (1 Kor 3,1-3). Das Fleisch kann Gott nicht gefallen, es ist Gott seinem Wesen nach feindlich (Röm 8,7-8). Eifersucht, Zank und Bitterkeit beweisen, dass ein Mensch oder eine Gemeinschaft im Fleisch lebt (1 Kor 3,3).

Offensichtlich ist das Wort sarx schwer zu übersetzen. Die bekanntesten Übersetzungen halten meistens an den Worten Fleisch und fleischlich fest. Manchmal wird es mit „irdischem Wesen“, „menschlicher Art“ usw. wiedergegeben. Was ist also das Fleisch? Offensichtlich ist es nicht der Körper. Auch ist das Fleisch nicht der natürliche Mensch, denn Paulus sagt, dass der natürliche Mensch, der Nichtchrist nicht unbedingt vollkommen schlecht sein muss. Es mag Zeiten geben, in denen auch der natürliche Mensch das Gesetz erfüllt, weil die Forderungen des Gesetzes in seinem Herzen geschrieben sind und er auch in seinem natürlichen Zustand ein Gewissen hat (Röm 2,14-15). Unter dem Fleisch nur die niedrige Natur oder Gesinnung zu verstehen, ist auch nicht ganz befriedigend. Der Mensch hätte dann eine Natur, die zum Guten fähig ist und eine andere, die zum Bösen verdammt ist. Die Schwierigkeit einer solchen Ansicht ist, dass die Fäulnis, trotz allem Positiven, das wir über den natürlichen Menschen gesagt haben, den ganzen Menschen ergriffen hat; sein ganzes Wesen ist befleckt. Es ist sehr bezeichnend, dass Paulus von den „Werken“ des Fleisches und der „Frucht“ des Geistes spricht (Gal 5,19-22). Ein Werk ist etwas, das ein Mensch von sich aus schafft; eine Frucht dagegen wird durch eine Macht geschaffen, die nicht in ihm selbst liegt. Der Mensch kann keine Frucht schaffen. Das besagt, dass er aus eigener Kraft viel Böses wirken kann; er braucht sich dazu nicht einmal anzustrengen, er tut das Böse sozusagen ganz von selbst. Aber Gutes muss für ihn von einer anderen Macht geschaffen werden. Wenn man also unter dem Fleisch die „niedrige Natur“ versteht, so ist das in vielen Fällen zweifellos richtig, aber trotzdem reicht diese Definition nicht aus.

Das Wesen des Fleisches lässt sich vielleicht folgendermassen erklären: Keine Armee kann von See her in ein Land eindringen, solange sie dort keinen Brückenkopf angelegt hat. Die Versuchung könnte dem Menschen nichts anhaben, wenn nicht schon etwas in ihm wäre, was für sie empfänglich ist. Die Sünde könnte im Gemüt, im Herzen, in der Seele und im Leben eines Menschen nicht Fuss fassen, wenn nicht schon ein Feind im Inneren wäre, der der Sünde die Tür öffnen möchte. Das Fleisch ist dieser Brückenkopf, über den die Sünde in die menschliche Persönlichkeit eindringt. Das Fleisch ist wie der Feind innerhalb der Tore, der dem von aussen andrängenden Verbündeten den Weg durch die Tore freimacht.

Aber wer hat diesen Brückenkopf angelegt? Woher kommt dieser Feind im Inneren? Die Erfahrung lehrt uns, dass der Mensch durch sein Verhalten sich selbst fähig oder unfähig macht, gewisse Dinge zu erfahren. Er formt sich selbst so, dass er auf bestimmte Dinge ansprechen wird oder nicht. Das Fleisch ist das, was der Mensch aus sich gemacht hat als Gegensatz zu dem Menschen, wie Gott ihn geschaffen hat. Der Mensch selbst hat sich zum Gegensatz seiner eigentlichen Bestimmung werden lassen. Das Fleisch ist der Teil des Menschen, in dem sich die gesamte Wirkung seiner eigenen Sünde, der seiner Väter und der aller Menschen vor ihm darstellt. Das Fleisch ist die menschliche Natur wie sie durch die Sünde geworden ist. Die Sünde des Menschen, seine eigene und die der Menschheit, hat ihn für die Sünde verwundbar gemacht. Sie hat ihn zu Fall gebracht, auch wenn er sich dessen bewusst war und wenn er es gar nicht wollte. Sie hat ihn so geformt, dass er sich weder der Faszination noch der Macht der Sünde entziehen kann. Das Fleisch steht für die durch die Sünde geschwächte, befleckte und verdorbene Natur des Menschen. Das Fleisch ist der Mensch ausserhalb von Christus und seinem Geist.

Ehe wir nun beginnen, die Werke des Fleisches, wie sie in Galater 5,19-21 aufgezählt sind, genau zu untersuchen, sollen noch zwei einleitende Tatsachen erwähnt werden.

1. Die Aufzählung in der alten Lutherübersetzung enthält zwei Sünden, die in keiner anderen modernen Übersetzung zu finden sind, auch nicht in der revidierten Lutherbibel. Ehebruch und Mord erscheinen nur in einigen, verhältnismässig späten Handschriften und sollten deshalb nicht aufgezählt werden.

2. Beim Studium der Unterschiede zwischen den verschiedenen Übersetzungen stellt man fest, dass einige Begriffe manchmal in der Einzahl und manchmal in der Mehrzahl stehen. Das liegt nicht an unterschiedlichen Lesarten in den verschiedenen Handschriften, es besteht auch hier kein Irrtum und keine Ungenauigkeit der Übersetzung, vielmehr ist das eine Angewohnheit in der griechischen Sprache. Ein griechisches abstraktes Hauptwort hat in der Pluralform oft eine etwas abgewandelte Bedeutung. Zum Beispiel bedeutet thymos in der Einzahl Temperament, in der Mehrzahl hingegen einen Ausbruch des Temperaments. Phthonos bedeutet Neid und phthonoi, die Mehrzahl davon, bedeutet das Zeigen von Neid. Auch einige Wörter in der Aufzählung der Werke des Fleisches stehen im Griechischen in der Pluralform und bedeuten das Tun, die Ausführung solcher Dinge, die sie anzeigen.