Begriffe2-03: Aselgeia – Ausschweifung

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Die drei Begriffe, mit denen die Aufzeichnung der Werke des Fleisches begonnen wird, bezeichnen zusammen den Höhepunkt des Bösen. Porneia zeigt die Sünde im Bereich der geschlechtlichen Beziehungen. Akatharsia drückt die allgemeine Verderbtheit der ganzen Persönlichkeit aus, sie vergiftet jeden Lebensbereich. Aselgeia bezeichnet die leichtsinnige und freche Liebe zur Sünde, die einen Menschen aufhören lässt, sich Gedanken darüber zu machen, was Gott oder Menschen von seinen Taten denken. Ein Mensch mag akathartos sein, sündhaft, unrein und seine Sünden verheimlichen, weil die allgemeine Meinung über Anständigkeit ihm noch etwas bedeutet, aber aselges wird er erst, wenn er die allgemeine Schicklichkeit verachtet. Aselgeia bezeichnet ein Stadium des Sündigens, in dem der Mensch überhaupt keinen Versuch mehr macht, die Sünde zu verheimlichen oder zu überdecken; es ist Sünde ohne Scham.

Aselgeia ist in den kanonischen Büchern des griechischen Alten Testaments überhaupt nicht zu finden. Im NT erscheint es in Römer 13,13, wo gesagt wird, dass ein Christ nicht in Fressen und Saufen, in Wollust und Unzucht, in Hader und Neid leben kann. Aselgeia ist hier in dem Wortpaar enthalten, das mit sexueller Sünde zu tun hat. In 2. Korinther 12,21 erscheint es zusammen mit Unreinheit und Unzucht, und auch hier bezeichnet es sexuelle Ausschweifung. In Epheser 4,19 umfasst es mehr. Es wird dort gesagt, dass sie sich der Unzucht ergeben haben und treiben jegliche Unreinheit voll Habgier. Im NT steht es also meistens im Zusammenhang mit sexueller Ausschweifung.

In den Schriften der Klassiker hat das Wort eine viel weitere Bedeutung. Bei Platon steht es für die Unverschämtheit der Gesetzlosigkeit (Der Staat 424e), Demosthenes gebraucht es für die Brutalität eines verruchten Mannes und für die anmassende Überheblichkeit des Philipp von Mazedonien (Wider Midas 21, erste Philippika 4). Die Griechen selbst definierten es als „freche und beleidigende Gewalttätigkeit.“ Basilius sagt, es sei die Eigenschaft einer Seele, die keine Züchtigung ertragen will. Es wird auch als „Bereitschaft, sich jedem Vergnügen hinzugeben“ definiert.

Gewisse Verwendungen dieses Wortes kennzeichnen treffend seine volle Bedeutung. Plutarch gebraucht es bei Alkibiades, der in seiner wilden Lüsternheit den öffentlichen Anstand und die öffentliche Meinung völlig missachtete (Alkibiades 8). Josephus benutzt es für die ruchlose Königin Isebel (Antt. 8.13.1) und für die berüchtigte Tat eines römischen Soldaten, der als Wache bei bestimmten Tempelfeiern seine Notdurft öffentlich im Tempelbereich verrichtete, womit er nicht nur öffentliches Ärgernis erregte, sondern, was viel schlimmer war, schamlos die heilige Stätte verunreinigte (Antt. 20.5.3). Sehr bezeichnend gebraucht Demosthenes das Adverb aselgos. Er sagt von einem Mann, der aselgos lebt, dass er zu den Männern gehört, in deren Gesellschaft ein vernünftiger Vater niemals seine Tochter mitnehmen würde (Demosthenes, Gegen Boethos 2.57).

Aselgeia kennzeichnet also offenkundige und hemmungslose Sünde. Für einen Menschen, der in aselgeia lebt, ist es bedeutungslos geworden, was andere darüber denken oder sagen mögen. Drei verschiedene Bedeutungen von aselgeia können wir unterscheiden.

1. Es ist Lüsternheit und zuchtloses Handeln. Es ist die Handlung eines Menschen, der von seinen Leidenschaften, seinen Impulsen und Gefühlen beherrscht wird und in dem die Stimme der überlegenen Vernunft von den Stürmen des Eigenwillens zum Schweigen gebracht worden ist.

2. Ein Mensch, der masslos - aselgos lebt, achtet weder die Rechte eines anderen Menschen noch den Menschen selbst. Er ist gewalttätig, unverschämt, beleidigend und brutal. Er hat keine Gedanken und Empfindungen für andere.

3. Ein solcher Mensch steht der öffentlichen Meinung und dem öffentlichen Anstand vollkommen gleichgültig gegenüber. Jemand mag eine böse Sache beginnen und versuchen, sie vor den Augen der Menschen zu verbergen; er mag dieses Böse lieben und sogar davon beherrscht werden, trotzdem lebt er noch nicht in aselgeia. Aber er kann einen Zustand erreichen, in dem er sich nicht mehr schämt, frei und öffentlich zu tun, was er früher nur im Verborgenen getan hat. Er kann so schamlos werden, dass es ihm vollkommen gleichgültig ist, was andere sehen und darüber sagen oder denken mögen. Das ist aselgeia. Es ist die Tat eines Charakters, der das verloren hat, was sein grösster Schutz sein sollte - Achtung vor sich selbst und Schamgefühl.