Begriffe2-11: Eritheia – Zank

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Einleitung: Eritheia ist ein Wort, dessen Bedeutung degenerierte, und die Geschichte dieser Entartung ist in sich ein erschreckendes, aber dennoch getreues Abbild der menschlichen Natur. Im NT wird es siebenmal gebraucht, und jedesmal bezeichnet es einen Fehler, der die Arbeit der Gemeinde ruiniert. In Römer 2,8 wird es zur Beschreibung derer benutzt, die widerspenstig (Zürcher Übersetzung) sind (Luther: zänkisch). In 2. Korinther 12,20 erscheint es inmitten einer Liste von Fehlern, die die Gemeinde in Korinth zerstören (Zürcher Übersetzung: Ränke, Luther: Zank). In Galater 5,20 kennzeichnet es eins der Werke des Fleisches. In Philipper 1,17 beschreibt es den falschen Beweggrund zum Predigen und die falsche Lebenshaltung (Zürcher Übersetzung: Ränkesucht, Luther: Streitsucht). In Jakobus 3,14 und 3,16 ist es ein charakteris¬tisches Kennzeichen der Weisheit, die nicht von oben stammt.

Nun kommt das Interessante an diesem Wort. Nach den eben erwähnten Stellen zu urteilen, führen wir es natürlicherweise und fast unvermeidlich auf eris zurück, welches das Wort für Streit oder Kampf, auch Wettstreit ist. Das ist aber ganz und gar nicht seine Ableitung. Erithos bezeichnete ursprünglich einen Tagelöhner; das Wort war besonders verbunden mit „Spinnern“ und „Webern“ und wurde allgemein von erion - Wolle abgeleitet. Eritheia war also ursprünglich ein achtbares Wort mit der Bedeutung von arbeiten für Lohn. Dann begann es zu entarten. Es gewann die Bedeutung einer Arbeit, die man nur und ausschliesslich um des Lohnes willen tut; eine Arbeit, die man nicht um des Dienstes willen tut und die nur eine Frage kennt: Was bekomme ich dafür? Im weiteren Verlauf erreichte es die Bedeutung von Stimmenfang und durch Ränkespiel ein öffentliches Amt erlangen. Es diente zur Beschreibung eines Mannes, der ein öffentliches Amt suchte, jedoch nicht, um dem Staat seinen Dienst anzubieten, sondern einfach um seiner eigenen Ehre und des persönlichen Vorteils willen. Dann erlangte das Wort zwei andere Bedeutungen. Erstens wurde es für Parteigezänk benutzt, für das Erlisten eines Postens, für das Intrigenspiel um Stellung und Macht, das so oft kennzeichnend ist für die Politik in Staat und Kirche. Zweitens erreichte es die endliche Bedeutung von selbstsüchtigem Ehrgeiz, dem Ehrgeiz, der keinen Begriff vom Dienst hat, dessen einziges Ziel Profit und Macht ist.

Es ist ausserordentlich interessant zu erfahren, wie das NT dieses Wort benutzt. Am häufigsten finden wir es in den Paulusbriefen, und niemand kannte wohl die innere Beschaffenheit der ersten Gemeinden besser als Paulus. Es war eine Sünde, die eine Gemeinde so leicht zerstören konnte. Es war ein Verschulden, das die Gemeinde Gottes in Korinth an den Rand des Zerfalls brachte, denn es führte zur Aufsplitterung in Sekten und Parteien, die mehr auf ihre eigene Herrschaft bedacht waren als auf die Herrschaft Christi. In Philippi war es der Beweggrund bestimmter Prediger geworden; sie waren von ihrer eigenen Herrlichkeit eingenommen statt von der Herrlichkeit Christi. Denney sagte vor langer Zeit sehr scharf, dass kein Prediger gleichzeitig seine eigene Klugheit und die Grösse Christi aufzeigen kann. Es ist charakteristisch für einen Menschen, der alles einer irdischen, menschlichen Norm unterordnet und der an alles den Massstab persönlichen Ansehens und Erfolgs legt. Die Tatsache, dass dieses Wort, das ursprünglich die ehrliche Arbeit bezeichnete, die ihren Lohn wert war, eine solche Veränderung erfuhr, wirft ein bezeichnendes Licht auf die menschliche Natur. Es ist eine Warnung an unsere Generation, denn das häufigste Unheil unserer Tage entspricht nicht wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern der Einstellung, die immer fragt: Was kann ich aus meinem Leben herausholen? und nicht: Womit kann mein Leben erfüllt werden?

Die vielen verschiedenen Übersetzungen dieses Wortes zeigen, wie schwierig es ist, seine Bedeutung genau zu umreissen. Allgemein kennzeichnet eritheia eine falsche Einstellung einer Arbeit oder einem Amt gegenüber. Im nichtreligiösen Sprachgebrauch hatten eritheia und das entsprechende Verb zwei Bedeutungen.

1. Erithos ist ein Tagelöhner, das Verb eritheuesthai bedeutet, für Lohn zu arbeiten, und eritheia ist die Arbeit gegen Lohn. In diesem Sinne haben die drei Wörter keine negative Bedeutung.

Aber es ist kein grosser Schritt von einer Arbeit gegen Lohn zu einer Arbeit, die ausschliesslich um des Lohnes willen getan wird. Dann kann eritheia die Haltung eines Menschen kennzeichnen, der kein Empfinden für den Dienst, keinen Stolz über sein Können und keine Freude an seiner Arbeit hat, der bei jeder Arbeit nur daran denkt, wieviel er dabei verdienen kann.

2. Bei Aristoteles hat eritheuesthai, das Verb, eine etwas andere Bedeutung. Es meint hier: werben um Wahlstimmen mit Hilfe von bezahlten Parteigängern. Aristoteles bezeichnet diese Methode als eine der Ursachen, die schliesslich zu Aufständen führten. Hier ist eritheia also zur Wahlintrige geworden. Etwas von der ursprünglichen Bedeutung ist in dem Wort noch enthalten. Eine politische Tat, wie sie Aristoteles beschrieben hat, ist die Tat eines Menschen, dem es nur um sich oder um seine Partei geht, der ein Amt nicht anstrebt, um dem Staat, der Gesellschaft und damit seinen Mitmenschen zu dienen, sondern um seinen persönlichen Ehrgeiz und seine Machtgier zu befriedigen oder seine Partei zu stärken. Eritheia kennzeichnet in diesem Fall die Haltung eines Menschen, der ein öffentliches Amt bekleidet, um Macht und Prestige zu gewinnen. Eritheia ist politisches Ränkespiel und selbstsüchtiger Eifer um persönliche Interessen.

Paulus verwendet das Wort viermal. In Römer 2,8 spricht er von Menschen, die exeritheias sind, von eritheia beherrscht und der Wahrheit nicht gehorchen. Er stellt sie denen gegenüber, die in Geduld mit guten Werken nach Preis und Ehre und unvergänglichem Wesen trachten, nach Ehre und Preis nicht vor den Menschen, sondern vor Gott. In 2. Korinther 12,20 bezeichnet es eine der Sünden, die Paulus vorzufinden fürchtet; er nennt hier eritheia - Zank zusammen mit Hader, Neid, Zorn, üble Nachrede, Hochmut und Aufruhr. In Philipper 1,17 wendet es der Apostel auf die an, die das Evangelium hauptsächlich predigen, um ihm damit zu schaden und nicht um Christus zu verherrlichen, die aus Streitsucht und nicht aus Liebe handelten. In Philipper 2,3 bittet er die Christen inständig, nichts aus eritheia oder um eitler Ehre willen zu tun, sondern in Demut einer den anderen höher als sich selbst zu achten. Dann folgt die wunderbare Stelle, die uns berichtet, dass Christus um der Menschen willen auf seine göttliche Gestalt verzichtete.

Diese Stellen sind bezeichnend für die Bedeutung von eritheia bei Paulus. Drei von den vier Beispielen stehen in Zusammenhang mit sich bekämpfenden Parteien innerhalb der Gemeinden. Die Gemeinde in Korinth war durch miteinander streitende Gruppen gespalten. Bei Paulus kennzeichnet das Wort den Geist persönlichen Ehrgeizes und persönlicher Rivalität, der zur Parteibildung und zur Geringschätzung der Gemeinde führt.

In der Welt ist das Motiv eritheia schon schlimm genug, aber dass es sogar in die Gemeinde Jesu Christi eindringen konnte, ist sehr tragisch. Es gibt Menschen, deren Arbeit in der Gemeinde dazu dient, ihre eigene Grösse und Wichtigkeit hervorzuheben, und die bitter enttäuscht sind, wenn man ihnen nicht die Stellung und die Ehre gewährt, die sie verdient zu haben glauben. Es gibt Menschen, die, so grausam es auch klingen mag, in Ausschüssen, Vereinen, Komitees usw. arbeiten, weil das der einzige Platz ist, an dem sie es zu etwas bringen können. Ihr scheinbar ehrenamtlicher Dienst ist ein Mittel, ihr Verlangen nach Macht zu befriedigen.

Es gibt in der Gemeinde aber auch die, die durch ihre Pläne und Intrigen eine bestimmte Politik unterstützen. Sie sind mehr um den Erfolg ihrer Politik besorgt als um das Wohl der Gemeinde. Das führt zu vielen langen Debatten, in denen es nicht um die Mission der Gemeinde geht, sondern um den Erfolg einer Partei oder einer einzelnen Persönlichkeit.

Aber alle diese Probleme von persönlichem Ehrgeiz in den Gemeinden können gelöst werden. Solange Christus im Mittelpunkt des Lebens jedes einzelnen und der Gemeinde steht, kann eritheia, persönlicher Ehrgeiz und Parteistreitigkeiten, niemals entstehen. Aber wenn man Christus nicht mehr seine zentrale Stellung einräumt, wenn der Ehrgeiz und die Politik eines einzelnen wichtig werden, dann wird unvermeidlich eritheia in die Gemeinde eindringen und den Frieden zerstören.