Begriffe2-17: Chara – Freude

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Nur wenn wir das NT in seinen Einzelheiten erforschen, können wir erkennen, wie viel Freude darin ihren Ausdruck findet. Zweiundsiebzigmal finden wir das Wort chairein, das sich freuen bedeutet und sechzigmal das Substantiv chara - Freude.

Der gebräuchliche griechische Gruss ist, in Sprache und Schrift, das Wort chairein, das gewöhnlich mit Gruss übersetzt wird. Der römische Offizier Klaudius Lysias gebraucht es in seinem Brief an Felix (Apg 23,26). Wörtlich übersetzt heisst es: Freude sei mit dir! An einigen Stellen des Neuen Testaments ist eine wörtliche Übersetzung angebracht.

Der bei dem sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem abgefasste Brief an die Heidenchristen beginnt mit dem Wort chairein - Freude sei mit euch (Apg 15,23; Elberfelder). Jakobus begann seinen Brief an die zerstreuten Christen, die als Fremdlinge in dieser Welt leben, mit denselben Worten, Freude sei mit euch (Jak 1,1). Eines der letzten Worte, die Paulus seinen Freunden in Korinth schrieb war: chairete (Imperativ) - freut euch, liebe Brüder (2 Kor 13,11)! Es gibt zwei sehr schöne Anwendungen des Wortes chairein in Verbindung mit dem Leben Jesu. Als der Engel Maria erschien, um ihr von dem Kind zu sagen, das sie gebären würde, war sein Gruss: Freue dich (Lk 1,28)! Und am Auferstehungsmorgen war der Gruss des auferstandenen Christus an die traurigen Frauen: chairete - freuet euch (Mt 28,9)! Dieser Gruss klingt triumphierend durch das ganze NT. Deshalb wollen wir uns nun mit dieser Freude der Christen auseinandersetzen.

Freude ist die charakteristische Atmosphäre des christlichen Lebens. Was auch immer im Leben eines Christen sein mag, er wird immer Freude haben; was ihm auch immer begegnen mag, die Freude ist immer gegenwärtig. „Freut euch in dem Herrn“, schrieb Paulus an die Christen in Philippi, und er wiederholt diese Aufforderung sehr nachdrücklich: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch“ (PhiI 3,1; 4,4)! „Seid allezeit fröhlich“, schrieb er an die Thessalonicher (1 Thess 5,16). Jemand hat gesagt, dass „freuet euch“ ein stehendes Gebot für die Christen sei.

Im Brief an die Kolosser gibt es eine sehr bedeutungsvolle Stelle. Wir lesen dort, dass Paulus für die Christen in Kolossä bittet, dass Gott sie mit aller Erkenntnis seines geistlichen Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht erfüllen möge, auf dass sie würdig vor dem Herrn wandeln und Frucht bringend wachsen mögen in jeglichem guten Werk und der Erkenntnis Gottes. Er fährt fort: „… und gestärkt werdet mit aller Kraft durch seine herrliche Macht zu aller Geduld und Langmut“ - und dann kommen die letzten Worte: „Mit Freuden sagt Dank dem Vater“ (KoI 1,9-12). Jede Tugend und alle Erkenntnis sollten von Freude erleuchtet sein; ja sogar die Geduld und die Langmut, die doch manchmal recht freudlos und hart sein können, sollten von Freude durchdrungen sein. „Das Reich Gottes“, schrieb der Apostel an die Römer, „ist Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist“ (Röm 14,17).

Jede Tugend des christlichen Lebens wird durch die Freude erleuchtet; es gibt keine Lage und keine Gelegenheit im Leben eines Christen, die nicht durch Freude erhellt werden sollte. Ein freudloses Leben, ist nicht das Leben eines Christen. Freude ist ein fester Bestandteil seines Lebens.

Das NT gibt uns ganz bestimmte Vorbilder und Beispiele der Freude.
1. Da finden wir zunächst die Freude christlicher Gemeinschaft. Das NT ist erfüllt von dieser grundlegenden Freude am Zusammensein. Ja, es ist sogar eine Freude, diese Gemeinschaft zu sehen. Paulus schreibt an Philemon, um ihm zu sagen, welche Freude und welchen Trost er durch dessen Liebe und treue Fürsorge für die Heiligen empfangen hat (Phlm 7). Die Heiden, die das Zusammenleben der Christen beobachteten, sagten: „Seht, wie sie einander lieben!“ Man sollte niemals vergessen, dass der Anblick wahrer, christlicher Gemeinschaft eine grosse Hilfe für die Verkündung des Evangeliums ist, und eines der grössten Hindernisse der Anblick einer zerstörten Gemeinschaft. Das Herz des Apostels Paulus wurde durch das liebevolle Gedenken der Christen in Philippi hoch erfreut (Phil 4,10). Christliche Gemeinschaft zu sehen und zu erleben und die zerstörte Gemeinschaft wiederhergestellt zu sehen, bringt grosse Freude. Als Titus von der uneinigen Gemeinde in Korinth mit der Nachricht zu Paulus kam, dass die Schwierigkeiten behoben und die Gemeinschaft wiederhergestellt sei, frohlockte Paulus in seinem Herzen (2 Kor 7,7.13). Das NT berichtet von der Freude beim Wiedersehen von Brüdern. Johannes hoffte, dass er seine Brüder wiedersehen werde, auf dass seine Freude vollkommen sei (2 Joh 12).

Im NT finden wir nichts von einer Religion, die einen Menschen von seinen Mitmenschen trennt. Sehr lebendig wird dagegen die Freude des Kennenlernens, der Freundschaft und der Versöhnung von Freunden beschrieben, denn Freundschaft und Aussöhnung zwischen Menschen ist ja das Abbild der Gemeinschaft und Versöhnung zwischen Gott und den Menschen.

2. Es wird uns die Freude über das Evangelium geschildert. Die Geschichte des Evangeliums beginnt und endet mit Freude. Es war eine Botschaft grosser Freude, die die Engel den Hirten verkündigten (Lk 2,10), und die weisen Männer frohlockten, als sie den Stern erblickten, der ihnen die Geburt des Königs verkündete (Mt 2,10). Der Anfang war von Freude umgeben. Am Auferstehungsmorgen kehrten die Frauen vom Grab und von der Begegnung mit dem Auferstandenen in grosser Furcht und mit grosser Freude zurück (Mt 28,8). Die Jünger konnten vor Freude die Nachricht kaum glauben (Lk 24,41). Als Jesus in die Mitte seiner Jünger trat, waren sie glücklich, ihn zu sehen (Joh 20,20). Und am Ende, nach der Himmelfahrt, kehrten die Jünger mit grosser Freude nach Jerusalem zurück (Lk 24,52). Das ganze Evangelium ist erfüllt von Freude.

Die Annahme des Evangeliums ruft Freude hervor. Mit grosser Freude bat Zachäus Jesus in sein Haus (Lk 19,6). Die Thessalonicher nahmen das Wort mit Freuden an (1 Thess 1,6). Wiederholt berichtet die Apostelgeschichte von der Freude, welche die frohe Botschaft auslöste. Die Verkündigung des Philippus brachte Freude nach Samaria (Apg 8,8); nach seiner Taufe zog der Schatzmeister aus Äthiopien seine Strasse fröhlich (Apg 8,39). Es herrschte grosse Freude in Antiochia, als die Heiden vernahmen, dass die Verkündigung des Evangeliums sich nicht mehr allein auf die Juden beschränkte, sondern dass die frohe Botschaft auch ihnen gepredigt werden sollte (Apg 13,48). Das NT macht es klar, dass die Bekehrung eine der glücklichsten Erfahrungen im Leben des Menschen ist.

Freude erwächst aus Glauben. Es war das Gebet des Apostels Paulus, dass Gott die Christen in Rom mit aller Freude und Frieden im Glauben erfüllen möge (Röm 15,13). Wir erkennen, dass der christliche Glaube die christliche Freude nach sich zieht. Es gab schon immer Menschen, die aus Religion eine Pein gemacht haben. Aber im NT gehen Glaube und Freude Hand in Hand.

Die christliche Freude schliesst auch einen bestimmten Ernst ein. Sie hält auch in Prüfungen und Leiden stand. Jakobus bitte seine Leser, es für Freude zu achten, wenn sie in mancherlei Anfechtungen fallen (Jak 1,2). Diese Freude aus Gott überwindet alle Traurigkeit, ja der Christ vergisst die Traurigkeit wie eine Frau über der Freude an ihrem neugeborenen Kind die Schmerzen der Geburt vergisst (Joh 16,21-22). Es ist bemerkenswert, wie oft im NT Freude und Leid Hand in Hand gehen. Trotz der Verfolgung waren die Christen in Antiochien mit dem Heiligen Geist und mit Freude erfüllt (Apg 13,52). Ein Christ vermag auch in Traurigkeit fröhlich zu sein (2 Kor 6,10). In Thessalonich zog die Verkündigung des Evangeliums Leiden nach sich, aber gleichzeitig bewirkte es auch Freude (1 Thess 1,6).

Diese Freude in Trübsalen kann etwas Wunderbares sein; das Wunder liegt darin, dass man alles um Christi willen auf sich nimmt. Petrus und Johannes verliessen den Hohen Rot fröhlich; trotz der Drohungen freuten sie sich, dass sie würdig gewesen waren, um des Namens Christi willen Schmach zu leiden (Apg 5,41). Petrus ermutigte seine Brüder, indem er ihnen sagte, dass ihre Leiden die Leiden Christi selbst sind (1 Petr 4,13).

In Kolosser 1,24 sagt Paulus etwas, das bei uns heute Bestürzung hervorruft: „Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde.“ Wie ist es möglich, dass noch etwas an den Trübsalen Christi fehlen kann? Wie kann jemand in irgendeiner Weise erstatten, was noch mangelt an den Trübsalen Christi? Stellen wir einen Vergleich an: Es kann sein, dass ein Wissenschaftler oder ein Arzt in seinem Laboratorium oder seinem Operationsraum sich müht und plagt, Risiken eingeht und seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, um ein Mittel oder eine Hilfe für die Heilung und Linderung der Schmerzen und Krankheiten der Menschen zu finden. Aber solch eine Entdeckung ist nutzlos, wenn sie nicht aus dem Laboratorium herauskommt und allen Menschen auf der ganzen Welt nutzbar gemacht wird. Es ist nun durchaus möglich, dass diejenigen, die diese Entdeckung verbreiten, sich mühen und plagen, dass sie leiden und Opfer bringen müssen, um sie den Menschen zugänglich zu machen. Wenn dann gesagt wird, dass durch ihre Leiden der Menschheit ein Geschenk übermittelt wurde, dass sie vollendeten, was an der Entdeckung noch fehlte, dann trifft das genau zu. Das Werk Christi ist vollbracht und erfüllt. Aber noch muss es den Menschen verkündet werden. Immer wieder, so zeigt die Geschichte, sind Menschen um der Botschaft Christi willen gestorben, durch die Jahrhunderte haben Menschen gearbeitet und gelitten, um diese Botschaft weiterzusagen. Was nun ihre Leiden betrifft, so kann man wohl sagen, dass sie dabei erstatteten, was den Trübsalen Christi noch mangelte. Wenn wir uns also unsere Treue zu Jesus und unseren Dienst für ihn etwas kosten lassen, so bedeutet das, dass wir erstatten oder vollenden, was an den Trübsalen Christi noch fehlt. Kann es ein grösseres Vorrecht als dieses geben? Die Freude, die uns durch solchen Dienst in Trübsalen zufliesst, kann niemand von uns nehmen (Joh 16,22).

3. Schliesslich ist es eine Freude zu sehen, wie Gott wirkt, Zeuge der grossen Taten Gottes zu sein. Die Siebzig kamen mit Freuden, weil auch die bösen Geister dem Namen Christi untertan waren (Lk 10,17). Beim Anblick der wunderbaren Taten Jesu frohlockten die Menschen, denn diese herrlichen Dinge wurden durch ihn getan (Lk 13,17; 19,37). Freude erwächst durch das Ausbreiten des Evangeliums. Barnabas war sehr froh, als er die Gnade Gottes unter den Heiden in Antiochien sah (Apg 11,23). Die Nachricht von der Ausbreitung des Evangeliums machte allen Brüdern grosse Freude (Apg 15,3). Das Evangelium wäre das allerletzte, was ein Mensch für sich behalten möchte. Je mehr es verbreitet wird und je mehr Menschen daran teilhaben, um so grösser ist die Freude. Prediger und Lehrer freuen sich über den Fortschritt der Arbeit in der Gemeinde. Der Glaubensgehorsam der römischen Christen war überall bekannt, und Paulus freute sich über sie (Röm 16,19). Die Einigkeit der Gemeinde brachte dem Apostel Freude (Phil 2,2). Paulus freute sich über die Beständigkeit der Christen in Kolossä und über den Fortschritt, den die Thessalonicher trotz seiner Abwesenheit machten (KoI 2,5; 1 Thess 3,9). Johannes freute sich über den Glaubenswandel seiner Kinder (2 Joh 4). „Ich habe keine grössere Freude als die, zu hören, dass meine Kinder in der Wahrheit leben“ (3 Joh 4).

Wir dürfen niemals vergessen, dass alle Verkündigung dazu dienen sollte, den Menschen Freude zu bringen. Jesus sagte: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde” (Joh 15,11). Jesu Reden sollten seinen Jüngern vollkommene Freude geben (Joh 17,13). Das Schreiben des Johannes sollte gemeinsame Freude bewirken (1 Joh 1,4). Paulus war bestrebt, den Korinthern Freude zu vermitteln (2 Kor 1,24). Er wünschte sich, noch eine kleine Weile länger leben zu dürfen, um den Philippern zur Förderung und zur Freude im Glauben dienlich zu sein (Phil 1,25).

Manchmal muss ein Prediger Traurigkeit und Busse wecken, die Herzen wachrütteln und sie zur Selbstverleugnung und Demütigung aufrufen. Aber die christliche Botschaft kann niemals damit enden. Die Predigt, die einen Menschen in dunkler Hoffnungslosigkeit lässt, entspricht nicht dem Geist Christi, denn nach der Beschämung und Demütigung in der Busse muss er die Vergebung und die Liebe Gottes erfahren. Niemals sollte jemand aus der Versammlung der Christen hinweggehen, ohne die brennende Liebe Christi zu erfahren.

Vielleicht wird am Ende der Tage unsere grösste Freude sein, dass wir Menschen zu Christus gebracht haben. Für Paulus waren die Thessalonicher und die Philipper seine Krone und seine Freude (PhiI 4,1; 1 Thess 2,19-20).

Die Freude ist nichts anderes, als die Freude Gottes selbst. Sie ist die Freude über Verlorenes, das wiedergefunden wurde (Lk 15,5-7; Mt 18,13; Lk 15,10.32). Für Menschen sowohl wie für Gott ist die grösste aller Freuden die Freude über die Wiedergeburt und Errettung von Verlorenen.